Wolfgang Bickel
Die Kirche Zum Heiligen Blut in Armsheim als Spiegel ihrer Zeit
Die Schönheit der Armsheimer Heilig-Blut-Kirche wird seit ihrer ersten Erwähnung gerühmt: Johannes Trithemius bezeichnete sie als verschwenderisch-prächtig und über die Maßen schön und vortrefflich: pretiosa atque pulcherrima.
Das Bauwerk spiegelte die Bedeutung, die Armsheim im 15. Jahrhundert als Stadt, als Wallfahrtsort und als Festung besaß. Aber der 1431 begonnene Kirchenbau war noch nicht vollendet, da war die Stadt schon in die Fehden der Landesherren hineingerissen, erobert, hatte nach der Schleifung von Mauern und Türmen das wichtigste Merkmal einer Stadt verloren und war der Oberamtsstadt Alzey unterstellt. Keine hundert Jahre später machte die Reformation dem überkommenen religiösen Leben und also auch der Wallfahrt ein Ende.
Hatte der Kirchenbau auch hundert Jahre nach seiner Einweihung schon Rang und Bedeutung für das öffentliche und religiöse Leben der Region weitgehend eingebüßt – so doch nach fünfhundert Jahren nichts von der Faszination seiner architektonischen Qualität.
Geschichte Armsheims bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts
Die im 5. Jahrhundert gegründete Siedlung erhielt unter der Herrschaft der Grafen von Veldenz im Jahre 1349 das Stadtrecht und wurde durch Mauern und Türme befestigt. Im 15. Jahrhundert kam die Stadt mit der angrenzenden Burg an die Erben der Veldenzer, die Herzöge von Pfalz-Zweibrücken.
Armsheim entstand als fränkische Gründung im späten 5. Jahrhundert.
Hier wie andernorts bestand die Ortschaft aus einer Reihe von Höfen im Umkreis eines Haupthofes, zu dem die Kirche und der Friedhof gehörten. Zugeordnet waren Hofgruppen in der Gemarkung, die jedoch nach dem 12. Jahrhundert aufgegeben wurden.
Es war nicht die erste dauerhafte Siedlung im späteren Ortsbereich: Latènezeitliche Funde deuten auf eine Ansiedlung im Umkreis der Kirche hin. In ihrer unmittelbaren Nähe wurden 1935 die Reste eines Viergöttersteins aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts gefunden, der auf ein Jupiterheiligtum an dieser Stelle hinweist. 1981 fand sich im Bereich der Fundamente eine Münze Constantins I. aus der Zeit von 324/330. Patron der ersten Kirche an dieser Stelle war der Überlieferung nach der heilige Remigius.
Umfangreicher Besitz wurde bereits im 7. Jahrhundert der Mainzer St. Nikomedeskirche übereignet, wozu auch eine Schenkung Pippins des Mittleren um das Jahr 700 gehörte. Aus dem 8. Jahrhundert bezeugen schriftliche Nachrichten Schenkungen von Landbesitz an die Klöster Lorsch und Fulda. Mit der Übergabe der Nikomedeskirche samt Besitz an das Kloster St. Jakob in Mainz um die Mitte des 11. Jahrhunderts wurde das Kloster Grundherr in Armsheim. Zwar versuchte es mit der Erwerbung weiterer Güter und der Vogtei über seinen Grundbesitz im 13. Jahrhundert die Dorfhoheit zu erwerben, aber diese gehörte zum Mainzer Truchsessenamt, und mit der Übertragung des Amtes an die Grafen von Veldenz wurden sie Ortsherren. Graf Heinrich II. von Veldenz betonte noch 1354, daß er Armsheim als oberster Truchseß des Erzbischofs von Mainz zu Lehen habe, mit Ausnahme des Syoner Hofes, der Trierer Lehen sei. Zu dieser Zeit bestand östlich des Ortes bereits eine Burg.
Das große Interesse der Grafen von Veldenz an ihrem Besitz zeigte sich auf vielfache Weise. Auf ihren Wunsch hin verlieh 1349 Kaiser Karl IV. dem Ort das Stadtrecht. 1366 kauften sie das zwischen Armsheim und dem kurpfälzischen Schimsheim gelegene Horchheim, dessen Gemarkung die Armsheims erheblich vergrößerte. Spätestens im Zusammenhang mit dem Ausbau der Befestigungsanlagen im 15. Jahrhundert scheint Horchheim aufgegeben worden zu sein.
Mit der Verleihung des Stadtrechts – es folgte dem Kaiserslauterer, das wiederum auf Speyer zurückging – waren Markt- und Mauerrecht verbunden. Lage und Gestalt des Rosenplatzes deuten darauf hin, daß er im Zusammenhang mit einer Ortserweiterung entlang der Mühlstraße planmäßig als Marktplatz angelegt wurde.
Der bedeutendste Beitrag der Grafen von Veldenz zur Entwicklung ihrer Stadt war der Bau der Kirche zum Wundertätigen Blut und die damit verbundene Förderung der Wallfahrt.
Vergegenwärtigt man die Situation im Jahre 1431, in der Friedrich III., der letzte Graf von Veldenz, als Stadt- und Patronatsherr im 38. Jahr seiner Regierung diesen Bau ins Werk setzte, dann erscheint er als sein Vermächtnis.
Die Gründungstafel als dynastisches Dokument
Die Anfertigung einer Gründungsinschrift mit den Wappen der Landesherren und der Darstellung eines von Engeln gehaltenen Meßkelches weist darauf hin, welche Bedeutung man dem Neubau beimaß. Sie lag einerseits auf der dynastischen Ebene, insofern als Patrone und Bauherren der letzte Graf von Veldenz und sein Erbe, der erste Herzog von Pfalz-Simmern-Zweibrücken, genannt werden, andererseits auf der religiös-kirchlichen durch die Widmung der Wallfahrtskirche. In jeder Hinsicht dokumentierte ein Bau von solcher Größe den Aufstieg des neu geschaffenen Herzogtums.
Die Gründungstafel zeigt im oberen Teil das Relief zweier Engel, die auf einem Korporale einen Meßkelch tragen. In den oberen Ecken und unter dem Kelch befinden sich insgesamt drei Wappen: an erster Stelle das der wittelsbachischen Herzöge, an zweiter das der Grafen von Veldenz, darunter das der Ritter von Geispitzheim.
Es folgt die Inschrift, die zweimal die Gründung anspricht, zunächst unter Betonung der Namen der Landesherren und Patrone den Beginn der Baumaßnahmen, dann mit der Nennung des amtierenden Pfarrers und des zuständigen Diözesanbischofs den rituellen Akt der Grundsteinlegung:
+ Anno domini mccccxxxi in vigilia ascensionis domini ob reverenciam mirifici sanguinis domini nostri ihesu christi inceptum erat fundamentum structure huius ecclesie sub illustri principe domino duce baverorum et comite palentino stephano necnon magnifico domino fryderico comite veldencie dominantibus et sub eadem data positus et locatus erat primus lapis structure supradicte ecclesie tempore reverendissimi in cristo patris et domini domini conradi archiepiscopi moguntini et honorabilis viri domini conradi oedenkemmer (sic) de Bubelnheim pastoris eiusdem ecclesie protunc regentis, deo juvante.
Im Jahre des Herrn 1431 in der Vigil von Christi Himmelfahrt ist aus Verehrung des wundertätigen Blutes unseres Herrn Jesu Christi mit dem Fundament zum Bau dieser Kirche begonnen worden unter der Regierung des erlauchten Fürsten, des Bayernherzogs und Pfalzgrafen Herrn Stephan und des großmächtigen Herrn Friedrich, Grafen von Veldenz, und unter demselben Datum ist der Grundstein gelegt und gesetzt worden zum Bau der obengenannten Kirche zur Zeit des in Christo hochwürdigsten Vaters und Herrn, Herrn Conrad, Erzbischofs von Mainz, und des ehrbaren Mannes, Herrn Conrad Oedenkemmer aus Biebelnheim, des derzeitigen Pfarrherrn derselben Kirche, mit Gottes Hilfe.
Die Tafel hält demnach die Erinnerung an die Grundsteinlegung der Kirche am Vortag des Himmelfahrtstages fest; es war der 9. Mai 1431. Der Zusammenhang mit der Verehrung des Wundertätigen Blutes ist dadurch gegeben, daß im Fest der Himmelfahrt sich der Gedanke an den „glückseligen Beschluß der ganzen irdischen Laufbahn des Gottessohnes“ (Bernhard von Clairvaux) verband mit der Erinnerung an die Einsetzung des Altarsakraments, also des Heiligen Blutes, die den Donnerstag als Wochentag auszeichnete. Von dieser Einschätzung des Doppelaspekts der Himmelfahrt her, erscheinen die Engel, die auf der Gründungstafel und im Chorgewölbe den Kelch präsentieren, als Garanten des im eucharistischen Blut liegenden Heils.
Der Text betont die Machtbefugnis der Landesherren, darüberhinaus aber auch ihren Anteil an der Baumaßnahme als Patrone. Man kann dies aus dem dritten Wappen schließen, das sich allein aus einer Baustiftung heraus erklären läßt. Der Neubau der Wallfahrtskirche ist demnach als Gedächtnisstiftung der Häuser Wittelsbach und Veldenz sowie des Geschlechts der Geispitzheimer zu verstehen. Möglicherweise war es Eberhard Vetzer von Geispitzheim, der zusammen mit Herzog Stephan 1426 während der Pilgerfahrt Kurfürst Ludwigs III. ins Heilige Land dem Regentschaftsrat angehört hatte.
Die in der Inschrift angesprochene gemeinsame Ortsherrschaft des Pfalzgrafen Stephan und des Grafen Friedrich enthält den Schlüssel zum Verständnis der Dimension des Vorhabens.
Stephan hatte als Sohn Ruprechts, des Kurfürsten von der Pfalz und seit 1410 deutschen Königs, nach dessen Tod 1410 zusammenhanglosen Besitz auf dem Hunsrück und die Anwartschaft auf Zweibrücken als Grundlage eines Herzogtums Simmern-Zweibrücken geerbt, dazu die Titel „Herzog von Bayern“ und „Pfalzgraf“, die den pfälzischen Nebenlinien zugestanden wurden.
Seit 1409 war er mit Anna von Veldenz verheiratet, dem einzigen Kind Graf Friedrichs III. Die Vermählung ließ einen erheblichen Gebietszuwachs erwarten, der auch die Anwartschaft auf Teile der Grafschaft Sponheim umfaßte. Von Friedrich III. früh zum Mitregenten ernannt, regierte er zusammen mit seinem Schwiegervater seit 1422 in Armsheim.
Im Jahre 1444 legte Friedrich III. in einem Erbvertrag die Teilung des Veldenzischen Besitzes unter seine Enkel fest. Ihr zufolge sollte der 1424 geborene Ludwig die Grafschaft Veldenz und also auch Armsheim erhalten. Friedrich starb noch im selben Jahr, Ludwig trat die Herrschaft an und regierte zunächst noch gemeinsam mit seinem Vater Herzog Stephan.
Und doch barg diese für Armsheim so bedeutsame Entwicklung dadurch eine Gefahr, daß es ein Simmern-Zweibrücker Vorposten im kurpfälzischen Interessengebiet geworden war. Im Norden und Osten berührte die Armsheimer Gemarkung kurpfälzer Gebiet: Schimsheim und Ensheim ware pfälzisch. Nur eineinhalb Stunden entfernt lag die kurpfälzer Oberamtsstadt Alzey. Wichtige Fernwege, die Alzey mit dem Rheintal nach Norden hin verbanden, führten durch die Gemarkung oder unmittelbar an ihr vorüber. Angesichts des Interesses von Kurpfalz, sein Territorium zwischen Pfeddersheim und Ingelheim auszubauen, konnten sich die Kurfürsten durch eine besondere Aktivität an dieser Stelle nur gestört fühlen.
Darüber, was Friedrich von Veldenz und Stephan von Simmern-Zweibrücken zu dieser Stiftung bewogen hat, kann nur spekuliert werden. Aber es ist naheliegend, in dem Bau dieser Kirche eine Gedächtnisstiftung des hochbetagten letzten Grafen von Veldenz und des Begründers der pfälzischen Nebenlinie Simmern-Zweibrücken zu sehen, mit der zugleich an diesem Ort in dynastischer und territorialpolitischer Hinsicht ein Zeichen gesetzt wurde.
Noch während der Bauzeit fiel Armsheim an Kurpfalz, doch erlosch die Heidelberger Linie der Wittelsbacher 1559 und das Land fiel an die Linie Pfalz-Simmern. Damit waren Nachkommen Stephans von Simmern-Zweibrücken und Annas von Veldenz wieder Ortsherren und Kirchenpatrone in Armsheim. Es ist anzunehmen, daß man, der Gedächtnisstiftung eingedenk, die ursprünglich an anderer Stelle befestigt gewesene Platte an dieser bedeutsamen Stelle anbrachte. Die auf dem unteren Rahmen eingeritzte Zahl kann „1567“ gelesen und als Hinweis auf die Versetzung der Platte verstanden werden.
Nachkommen aus der Ehe Herzog Stephans und Annas von Veldenz regierten bis 1918 das Königreich Bayern. Die Kirche zum Wundertätigen Blut ist vielleicht die einzige Stiftung, die sich auf die Begründung dieser gegenwärtig noch existierenden Linie des Hauses Wittelsbach bezieht.
Die Baugeschichte und die Bedeutung des Kirchenbaues im Ganzen und seiner Teile
Der stattliche Bau auf der Kirchhofsterrasse überragt weit die Ortschaft und bildet den Mittelpunkt von Gemarkung und Tal. Er beeindruckt durch die wirkungsvolle Verbindung von erhöhtem Chor, niedrigerem Schiff und sehr hohem Turm. Erst wenn man den Sinn der einzelnen Bauteile und ihrer Abfolge betrachtet, erschließt sich die Dimension dieses Gebäudes.
Die Anordnung und Gestaltung von Chor, Langhaus und Turm zeigt auf den ersten Blick, daß diese Bauteile unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hatten: die Kostbarkeit der architektonischen Raumgestaltung macht den Chor zu einem Gehäuse für das hier verehrte Wundertätige Blut. Die bescheidener gestaltete Kirchenschiffs-Halle ist ein Raum, in dem sich das religiöse Leben der Bürger und der Wallfahrer abspielt. Der Turm repräsentierte das Ansehen Armsheims als Stadt und Festung und darüberhinaus die Bedeutung dieser Kirche. Dabei beruht der Gesamteindruck der kompakten Baugestalt auf der angesichts der Turmhöhe verhältnismäßig geringen Länge, deren Ausdehnung durch die Stadtmauer einerseits und die Begrenzung der Kirchhofsterrasse andererseits eingeschränkt war.
Diese Lage bestimmte die Gestaltung des Turmes als eines Teiles der Stadtbefestigung und auch die der Zugänge, von denen der südliche mit einer Vorhalle versehen wurde und den Charakter eines Hauptportales erhielt.
Die unterschiedliche Gestaltung von Turm und übrigem Bau bildet eigentums- und baurechtliche Verhältnisse ab: In Armsheim war wie in vielen Städten für die Errichtung und Unterhaltung des Kirchturms die politische Gemeinde zuständig. Er gehörte wie Straßen, Brücken und Stadtmauern zum Aufgabenbereich von Schultheiß und Bügermeister. Bau und Unterhaltung der übrigen Kirche oblagen der Pfarrei, gehörten also zu den Rechten und Pflichten des Kirchenpatrons. Dies erklärt die Beobachtung, daß offensichtlich zwei Architekten bei der gleichzeitigen Entstehung von Chor und Turm tätig waren: Chor und Langhaus werden von einem einfachen, abgeschrägten Sockel und einem Kaffgesims umzogen, der Turm besitzt einen profilierten Sockel und reiche Schmuckgesimse.
Generell diente als Baumaterial für Mauern und Architekturteile ein aus Stein-Bockenheim stammender Sandstein, für die Gewölbekappen Backstein. Gebäudekanten, Portal- und Fenstergewände von Chor und Turm, Strebepfeilerstirnen, -abdachungen und -bekrönungen bestehen aus Werkstein, die Fenstergewände des Langhauses wie die übrigen Mauern aus Bruchstein. In der Mörtelbettung finden sich Schieferplatten.
Der Chor
Der Chor ist als eigenständiger Bauteil konzipiert. Baukünstlerisch gehört er zum Kostbarsten, was im 15. Jahrhundert am Mittelrhein entstanden ist. Auf nahezu quadratischem Grundriß – die Außenmaße betragen 10,20 m x 10,40 m – errichtet, besteht er aus einem Gewölbejoch mit 5/8 Schluß.
Seine innere Höhe beträgt 13,65 m.
Er wurde als Raum des Allerheiligsten mit besonderem Aufwand gestaltet und gegenüber dem Langhaus durch einen Lettner abgeschlossen. Galt nach der zeitgenössischen Architekturtheorie auch die ganze Kirche als Haus Gottes, so symbolisierte doch der Chor insbesondere den Himmel. Und entsprechend der Überzeugung, daß sich in Licht, Maß und Zahl die göttliche Wirklichkeit in besonderer Weise manifestiere, ist die Wirkung dieses Chorraumes durch die Fensterflächen, durch die Maßverhältnisse und geometrische Strukturen bestimmt. Die Wandflächen sind weitgehend in Dienste, Stabwerk der Gewände und Maßwerk aufgelöst. Darüberhinaus äußert sich die Liebe zu kostbaren Formen in der sonst in dieser Zeit unüblichen Ausstattung der Dienste mit Kapitellen, der Stäbe mit kleinen Sockeln und vergoldeten Kapitellchen. Diesem Bestreben nach Feierlichkeit des Ganzen und Kostbarkeit des Details entsprach eine Verglasung, von der Reste erhalten sind. Sie lassen darauf schließen, daß der Raum von einem mächtig-feierlichen Rot-Blau-Gelb-Farbklang erfüllt war.
Der Schlußstein weist auf die Bedeutung des Raumes hin. Ein Engel über einer Dreipaßfläche hält auf einem Korporale einen großen Meßkelch: Christus ist im eucharistischen Blut wahrhaft gegenwärtig – und insbesondere an diesem Ort, wo eine wundertätige Blutreliquie verehrt wird.
Die Darstellung des Schlußsteins ist zugleich Teil eines Bildprogramms, zu dem die Skulpturengruppen in den Dreistrahlzwickeln gehören. Es sind drei weibliche Köpfe auf der Süd-, drei männliche auf der Nordseite, einerseits Ordensfrau mit Schleier, Dame mit Hörnerhaube, barhäuptige Frau mit Schapel, andererseits Mönch, Narr und alter Mann, der die Zunge herausstreckt. Sie bezeichnen demnach Verhaltensweisen und also auch Erkenntnisfähigkeiten hinsichtlich der Bedeutung des Kelches auf dem Korporale.
Zu dem Programm gehören die gemalten Köpfe in den Gewölbefeldern, deren Münder die Entlüftungslöcher umschließen. Sie tragen Kappen, wie sie im 15. Jahrhundert von Handwerkern getragen wurden, die im Freien arbeiteten. Unterhalb des Engels ist der Hochaltar zu denken.
Neben ihrer Aufgabe als Raum für das Meßopfer und die Aufbewahrung des Allerheiligsten dienten die Chöre Stiftern, Mitgliedern des Patronats und Bauherren als Bestattungsort; die beiden Priester, deren Grabplatten erhalten sind, amtierten während der Bauzeit.
Der Sakristeianbau
Der Anbau im Winkel zwischen Chor und Langhaus enthält im Untergeschoß zwei Sakristeiräume, im Obergeschoß einen Raum, dessen Zweckbestimmung erschlossen werden kann. Die Sakristei ist als Aufbewahrungsraum aller für den Altar- und Chordienst nötigen Gerätschaften und Gewänder vom Chor her zugänglich. Von dem niedrigeren Raum führt ein Durchgang in einen zweiten, höheren, der ursprünglich durch eine Tür mit dem Chor verbunden war, deren Reste überputzt sind. In das Obergeschoß gelangt man über eine Türöffnung von der Empore aus.
Üblicherweise befinden sich in den Obergeschossen von Sakristeien Bibliotheken oder Tresorräume, mancherorts die Loggien für das Patronat. Die Abnutzungsspuren der Türschwelle und die auf den Hochaltar hin ausgerichtete Fensternische lassen auf eine Nutzung als Patronatsloge schließen. Hierfür spräche auch die Rosette des Schlußsteins.
Das Langhaus
Die drei Kirchenschiffe des Langhauses bilden den gleichsam öffentlichen Raum der Kirche, dessen Gestaltung den Rangunterschied gegenüber dem Chor betont: eine breit gelagerte Pfeilerhalle von annähernd quadratischem Grundriß. Ihre Außenmaße betragen 19,05 m x etwa 16,50 m, bei einer inneren Höhe von 9,45 m. Ist der Chor vertikal ausgerichtet, so das Langhaus horizontal, ist seine Formensprache konservativ und vergeistigt, so ist sie hier unkonventionell und eher profan.
Die Wölbung besteht aus Kreuzrippengewölben mit ringförmigen Schlußsteinen im Langhaus, aus Springgewölben im nördlichen Seitenschiff, aus Knickrippensternen im südlichen. Die Schlußsteine tragen Symbole und Wappen. Das Langhaus diente allen Formen privater Frömmigkeit und Heiligenverehrung. Hier wurden die Privatmessen gelesen, wurde gepredigt, getauft. Er war Begräbnisplatz für Priester, amtierende Adlige des Ortes und für alle, die sich ein Begräbnisrecht erwerben konnten.
Von vier der hier ursprünglich vorhanden gewesenen Altäre sind Lavabonischen im südlichen Seitenschiff , im Bereich des früheren Lettners und ein Fundament neben dem Nordportal erhalten. Die kleinen, heute unmotiviert erscheinenden Fensterchen in der Nord- und Südwand sind je auf einen Altar hin angelegt. Das Südfenster ist darüberhinaus so plaziert, daß die Sonnenstrahlen in der Weihnachtszeit auf den Altar vor dem Chorbogen fallen; es scheint sich also um ein „Kalenderfenster“ zu handeln.
Das Hauptportal befindet sich auf der Südseite. Vorgezogene Strebepfeiler bilden mit dem Netzgewölbe eine Vorhalle. Seitliche Bänke verweisen auf ihren Zweck als Ort der Almosenspende und des Kirchenasyls. Karl Bronner, der die Restaurierungsarbeiten der Kirche 1908/1911 leitete, sah über dem weiten Eingangsbogen noch Reste von „reichem gotischem Schmuckwerk“.
Der Turm
Waren Chor und Langhaus vornehmlich auf die Nutzung als Räume hin konzipiert, so ist die Gestaltung des Turmes auf eine Außen- und Fernwirkung hin angelegt. Er ist bis zum Umgang 19,50 m, bis zum Fuß des Turmhelms 31 m, insgesamt etwa 60 m hoch.
Die Stellung des Turmes in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer, die Gestaltung des Unterbaues und die Anfügung eines bis zum Helm hinaufreichenden Treppenturmes weisen ihn als Teil der Stadtbefestigung aus. Seine Maße betragen 8,33 m x 9,19 m bei einer Mauerstärke von 2,25 m – 2,35 m. Die beiden unteren Geschosse gleichen denen von Fortifikations-Türmen. Vieles deutet darauf hin, daß die Turmräume städtische Aufgaben erfüllten. Das erste Obergeschoß war als Archivraum geeignet. Spuren zeigen, daß der Raum eine Tür besaß. Ein Durchschlupf und ein weiterer Kanal zur Empore hin lassen sich unter anderem als Vorrichtung zur Verbarrikadierung erklären, die Vermauerung des Westfensters mit verbleibendem Hohlraum läßt sich als Tresor deuten. Die Spuren eines Aufbruchs zeigen, daß man dies bei einer Plünderung so gesehen hat.
Der Turmumgang am Fuß des Oktogons diente dem Türmer. Von hier aus sind die Ortschaft und weite Teile der Gemarkung zu überblicken. Die massive Ausführung des weiter hinauf führenden Treppenturms deutet darauf hin, daß er als Luginsland der Festung diente. Daß er diese Aufgabe auch später noch erfüllte, darauf weisen die erneuerten Stufen hin: der örtlichen Überlieferung nach haben im Zuge der Koalitionskriege in den 1790er Jahren, als Rheinhessen Schauplatz unablässiger Truppenbewegungen war, französische Truppen die Stufen herausschlagen lassen.
Kirchtürme waren nicht zuletzt deshalb eine städtische Einrichtung, weil in ihnen das wichtigste Signalsystem installiert war. Die Regelung des Feuerläutens für diesen Turm ist überliefert: die kleine Glocke wurde geläutet, wenn das Feuer weiter als eine Meile entfernt war, die mittlere, wenn es im Nachbardorf brannte, war Feuer im eigenen Ort ausgebrochen, wurden alle zusammen geläutet.
Der dem quadratischen Grundriß folgende Unterbau des Turmes bis zum Umgang mit dem weiter hinauf führenden Luginsland und das oktogonale Obergeschoß mit dem Glockenhaus vertreten in ihrer Unterschiedlichkeit verschiedene Aspekte des Turmbaus, das Untergeschoß und der Luginsland als Teile der Fortifikation den gleichsam irdischen Sicherheitsaspekt, das Obergeschoß den sakralen und symbolischen. Turmobergeschosse waren seit jeher geeignet gewesen, den Bezug zur Himmelssphäre auszudrücken, zumal, wenn sie oktogonal gestaltet waren. Besonders beeindruckend ist im Falle der Armsheimer Kirche das Zusammenspiel der oktogonalen Gestaltung von Chorbau und Turm und den hexagonalen Treppentürmchen. Daß der Turm ein städtisches Bauwerk war und von der Bedeutung der Stadt zu künden hatte, minderte nicht seine Funktion, weithin den Rang der Wallfahrtskirche zu demonstrieren.
Von Westen her gelangt man durch eine niedrige Turmhalle in die Kirche. Das reiche Gewölbe entstammt der Mitte des 19. Jahrhunderts und ersetzt eines, das beim Turmbrand 1852 eine herabstürzende Glocke zerschlagen hatte. Das Ortswappen auf dem Schlußstein erinnert daran, daß der Turm in den Zuständigkeitsbereich der politischen Gemeinde gehörte. Auch dieser Durchgang zum Kirchenraum ist als Ort der Almosenspende und des Kirchenasyls mit seitlichen Bänken versehen.
Der Kirchenbau folgt keinem einheitlichen Plan. Seine besondere ästhetische Überzeugungskraft beruht nicht auf der schlüssigen Durchführung eines Entwurfs, sondern auf dem Zusammenspiel sehr verschiedener Bauteile, die unterschiedlichen Entwürfen folgen. Sie beruht auf der harmonischen Verbindung des Verschiedenen. Darin folgt sie der ästhetischen Theorie ihrer Zeit. Sie entspricht der Forderung nach einer Harmonie, die mehr ist als nur eine Ordnung, weil sie Widersprüchliches auf höherer Ebene vereinigt. Diese Feststellung bezieht sich zunächst auf das äußerlich sichtbare Formale des Gebäudes. Aber da das Sichtbare zu der Zeit, als die Kirche errichtet wurde, ganz selbstverständlich als ein Hinweis auf Unsichtbares verstanden wurde, gilt der Gedanke von der Harmonie, die mehr ist als Ordnung, auch auf anderen Ebenen. Im übrigen galt, daß das Werk sich dem Betrachter auf eine spezifische, seinem Bewußtseinsstand entsprechende Weise mitteilt.
Die Geschichte Armsheims während der Bauzeit
In den Jahrzehnten, in denen die Pfarr- und Wallfahrtskirche entstand, nahmen die Spannungen zwischen den Herzögen von Pfalz-Zweibrücken und den Kurfürsten von der Pfalz zu und entluden sich in wiederholten Fehden, in deren Verlauf Armsheim von Kurpfalz in Besitz genommen wurde.
Angesichts drohender Spannungen zwischen den Brüdern Herzog Stephan von Pfalz-Simmern-Zweibrücken und Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz ist es denkbar, daß Herzog Stephan als Mitregent schon vor 1444 die Stadtbefestigung verstärken ließ. Mit Sicherheit geschah dies während der gemeinsamen Regentschaft Stephans mit seinem Sohn Ludwig dem Schwarzen. Stadt und Burg Armsheim mit Festungswerken und gerade im Bau befindlicher Stadt- und Wallfahrtskirche demonstrierten das Interesse dieser Herzöge am Ausbau ihrer nord- und vorderpfälzischen Besitzungen. In welchem Maße dies von Kurpfalz als Herausforderung empfunden werden konnte, verrät der Hinweis des Chronisten Matthias von Kemnat in seinem Bericht über die Belagerung und Einnahme Armsheims 1470: Diese Stadt sei so gelegen und befestigt, daß es nicht einfach war, sie zu belagern „und was das beste schloss hertzog Ludwigs, daraus er die Pfaltz beschedigen mocht.“
Während an Festung und Kirche gebaut wurde, hatte sich die Situation für die Stadt insofern bedrohlich verändert, als sich mit Friedrich I. von der Pfalz und Ludwig dem Schwarzen von Pfalz-Zweibrücken-Veldenz Fürsten gegenüberstanden, die einander haßten und die beide von großem Ehrgeiz und exzessiver Fehdelust besessen waren. Ludwig der Schwarze regierte seit 1444 zunächst zusammen mit seinem Vater Stephan, nach desen Tod 1459 allein. Friedrich hatte 1449 in Heidelberg nach dem Tode Ludwigs IV. als Bruder die Regentschaft für den unmündigen Philipp übernommen und sich durch Adoption des Mündels die Kurwürde verschafft. Schon 1450 kam es zum offenen Konflikt und 1455 gelang es Friedrich, seinen Anspruch auf Lehnsoberhoheit über die veldenzischen Anteile des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken-Veldenz durchzusetzen.
Ein besonderes Interesse Friedrichs an dieser Region zeigt sich in der Fürsorge, die Stadt und Burg Alzey erfuhren. Er erhob Alzey zur kurpfälzischen Nebenresidenz und Oberamtsstadt, betrieb die Erhebung der Pfarrkirche St. Nikolaus zum Kollegiatstift, förderte den Chorneubau und ließ spätestens seit 1468 die Burg schloßartig ausbauen.
Die Absicht, Stadt und Burg Armsheim zu erwerben, ist seit 1461 offenkundig: Als Ludwig der Schwarze im Verlauf einer der Fehden sich zu einem Vergleich bereitfinden mußte, gehörte zu den Bedingungen des Friedensschlusses, daß er unter anderem Armsheim zum Pfand setzte. Zehn Jahre später ermöglichte der Verlauf der Weißenburger Fehde Friedrich, den Ort dauerhaft in Besitz zu nehmen: Im Streit zwischen der Stadt Weißenburg und dem Kurpfälzer hatte Kaiser Friedrich III. einen Reichskrieg gegen diesen angestrengt und Ludwig den Schwarzen zum Feldhauptmann gegen Friedrich von der Pfalz bestellt. Dieser hatte entgegen dem 1461geleisteten Eid den Auftrag angenommen, was Friedrich veranlaßte, gegen ihn vorzugehen. Matthias von Kemnat, der Historiograph Friedrichs des Siegreichen, und Abt Johannes Trithemius von Sponheim berichten über die Einnahme Armsheims. Matthias von Kemnat betont in seinem Bericht die kriegstechnische Überlegenheit Friedrichs, die vor allem auf der Artillerie beruhte: ohne Unterlaß sei dermaßen geschossen und gegraben worden, daß das Heer in vier Tagen auf dem Stadtgraben bis an die rückwärtige Mauer herangekommen sei und sie sturmreif geschossen habe. Darauf hätten sich die Hauptleute auf Gnade und Ungnade ergeben.
Der Bericht des Johannes Trithemius differiert in Hinsicht auf die Modalität der Inbesitznahme: Friedrich habe eine gut befestigte Stadt Ludwigs, die Armsheim heißt, belagert und sie mit Maschinen, Bombarden und Gräben tüchtig angegriffen, erobert und am Tag Pauli Bekehrung (30. Juni 1470) in Besitz genommen. Nach Auferlegung einer Geldschatzung seien Ringmauer, Türme und Vorwerke zerstört, Waffen, Bombarden und alles Kriegsgerät abtransportiert worden.
In dem 1471 geschlossenen Frieden wurde Armsheim dem Kurfürsten überlassen. Der Ort gehörte fortan zur Kurpfalz und wurde dem Oberamt Alzey unterstellt.
Die auffälligste Spur, die diese Vorgänge an der Kirche hinterlassen haben, sind neben der Turmgestaltung die Wappen. Wittelsbacher Rautenfeld und Veldenzer Löwe hatten auf dem Gründungsstein auf das gemeinsame Regiment und die neue Ära hingewiesen, die mit der Verbindung der beiden Häuser angebrochen war. In den Gewölben der Seitenschiffe hat die entsprechende Aufgabe die zweimalige Anbringung des Wappens von Kurpfalz: in der Mitte des gevierten pfälzischen Rauten-Löwen-Wappens leuchtet der rote Kurschild.
Bauorganisation, Bauverlauf und Wandlungen des Zeitstils
Die nähere Betrachtung zeigt, in welchem Maße dieser Kirchenbau nicht nur die zu erfüllenden Funktionen und die Art und Weise der Bauorganisation, sondern auch die Wandlungen des Zeitstils jener Epoche zwischen 1431 und 1480 spiegelt.
Nach Friedrich von Veldenz und Stephan von Simmern-Zweibrücken ist Siegfried von Löwenstein die wichtigste mit dem Bau verbundene Person, deren Namen wir kennen. Er stand als Prokurator an der Spitze der Bauverwaltung. Sein Aufgabenbereich umfaßte demnach die Fragen der Finanzierung, der Anstellung des Baumeisters, der Materialbeschaffung und Lohnabrechnung, weil Bauvorhaben dieser Größe von der Pfarrei allein nicht zu bewältigen waren. Daß die Einsetzung eines Prokurators die Amtsgewalt des Inhabers der Pfarrei hinsichtlich des Baues nicht wesentlich schmälerte, beweist die Beisetzung der Pfarrherren Conrad Oedenkemmer und Johannes Helt (?) im Chor, an einer Stelle also, die vor allem Bauherren und Stiftern vorbehalten war. Als weiterer während der Bauzeit amtierender Pfarrer wird 1469 Heinrich Heydenreich genannt.
Der Name des Baumeister des Chores ist ebensowenig überliefert wie die Namen der für das Langhaus und den Turm verantwortlichen Architekten. Mit dem Bau wurde im Mai 1431 begonnen. Dies geschah üblicherweise und vermutlich auch hier mit dem Neubau des Chores an der Stelle des abgebrochenen alten. Wenn in der Gründungstafel vom Legen der Fundamente die Rede ist, entspricht dies dem Baubefund, der darauf schließen läßt, daß im Gegensatz zum Langhaus der Chor wahrscheinlich nicht auf älteren Fundamenten ruht. Geschlossenheit des Entwurfs, Einheitlichkeit der Gestaltung zeigen, daß der Plan zügig umgesetzt wurde. Zum Chorbau gehörte der doppelgeschossige Sakristeianbau, der durch die jetzt vermauerte Tür zugänglich war. Da seine Nordwand an eine Eckquaderung des Langhauses anstößt, gehört dieser Mauerbereich zu den übernommenen Außenwänden des Vorgängerbaues. Der Anbau des östlich anschließenden Sakristeiraumes mit eigener Tür zum Chor erfolgte wenig später.
Vom Kirchhof aus gelangte man in den Chor durch eine später geschlossene Interims-Tür in der Südwand zwischen dem ersten und zweiten Strebepfeiler. Unregelmäßigkeiten im Mauerwerk im Bereich zwischen Langhauswand und erstem Chorstrebepfeiler weisen darauf hin, daß an dieser Stelle der Bauverlauf gestört, die Stelle vielleicht erst später geschlossen wurde.
Der Baumeister des Chores entwarf den hohen und weiten Chorraum im Sinne der klassisch-gotischen Formensprache und verband formale Klarheit im Ganzen mit einer Liebe zum kostbaren Detail, wie man es in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts schätzte.
Auch wenn Maßverhältnisse dafür sprechen, daß eine – hypothetische – erste Turmplanung auf den Chorentwurf bezogen ist, so spricht nichts dafür, daß der Chorbaumeister auch einen Langhausentwurf lieferte.
Die robustere Formensprache eines anderen Baumeisters tritt uns am Türgewände innerhalb der Sakristei und an den Arkaden des westlichen Halbjoches entgegen. Er liebte einfache Profile, in deren Abschlüsse er halbe Pyramiden setzt. Insbesondere zeigen die Gewölbekonsolen in der Sakristei, daß stilistisch ein anderer Ton herrscht. Damit wird die elegante und hochdifferenzierte Formensprache des Chores abgelöst durch eine andere, die stereometrische Einfachheit bevorzugt und auch die Darstellung monströser Gestalten liebt. Sie folgt einem allgemeinen Zug des Zeitstils der Jahrhundertmitte, in der nicht mehr die kultivierten Ritter, die sich am burgundischen Hof orientierten, das Bild der Epoche prägen, sondern die geharnischten Eisenfresser. Daß dies ein Wechsel des Stils und nicht unbedingt der hier tätigen Personen war, beweist die Beobachtung, daß der Steinmetz, der in den unteren Zonen des Chores tätig war, später eine der Fratzenkonsolen des Sakristei signierte.
Zu dieser Zeit wurde an der Langhausarkatur gearbeitet und mit dem Turmbau begonnen. Ungefähr gleichzeitig entstanden, worauf Gewändeprofile und vergleichbare Fratzenkonsolen hinweisen, der östliche Sakristeianbau und der Westbereich des Langhauses. Die Modifikation des Gewändeprofils am Westeingang und am Eingang zur Wendeltreppe verrät die Formensprache des Turmmeisters, die sich am Außenbau in der Kehlung des Sockels und später in der der Fenstergewände zeigt. Da das selbe Profil am Chorbogen auftritt, kann eine zeitliche Nähe zwischen den Baumaßnahmen angenommen werden.
In diese Zeit müssen Bauvorgänge fallen, auf die die Unstimmigkeiten im Bereich des westlichen Langhausjoches und des Turmes zurückgehen. Am Außenbau weist das Verspringen der Sockel von Langhaus, Treppentürmchen und Westturm auf Koordinationsprobleme bei der Planung und Ausführung hin. Sie lassen sich am schlüssigsten durch die Annahme deuten, hier sei zunächst ein mit Emporen versehenes Langhaus mit eingezogenem Turm geplant – oder sogar vorhanden – gewesen. Die Anlage der Fenster in diesem Bereich zeigt, wie weit dieser Plan gediehen war, als er der heutigen Konzeption des großen Hallenraumes mit vorgesetztem Turm Platz machen mußte.
Der Turm ist hinsichtlich der Eleganz seiner Gesamterscheinung dem Chor ebenbürtig. Er war, worauf schon hingewiesen wurde, ein städtisches Bauwerk, für dessen Errichtung der städtische Schultheiß zuständig war, der also von der Berufung eines Baumeisters bis zur Finanzierung die Verantwortung trug. Namentlich überliefert sind aus dieser Zeit die Schultheißen Heyn (1456) und Matthiss Henne (1465).
Daß der Turm unter eigener Bauleitung entstand, beweisen das Sockelprofil, die Schmuckbänder, die gekehlten Fenstergewände und überhaupt die Gesamterscheinung. Dem widerspricht nicht, daß einige Steinmetzzeichen die Bautätigkeit von Bauhandwerkern belegen, die schon am Chor tätig waren.
Der Bau scheint zügig vorangegangen zu sein, was insbesondere für die ersten Geschosse die Abfolge der Steinmetzzeichen an den Treppenstufen belegt. Es ist naheliegend, für seine Vollendung die sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts anzunehmen. Hierfür spricht auch das Vorkommen der beiden Steinmetzzeichen, die bereits am Chor zu finden sind.
Die Vollendung des Langhauses unter Einbeziehung vorhandener Außenmauern bildet die letzte Phase des Neubaus. In welchem Maße ältere Bausubstanz einbezogen wurde, zeigen das Verhältnis von Strebepfeilern und Fenstern, von Fenstergewänden und Maßwerk am Außenbau, im Innenraum der Anschluß der Langhausarkaden an die niedrigeren westlichen, der leichte Rücksprung der Wände in Kämpferhöhe der Fenster. Insbesondere deuten die Langhausfenster auf das höhere Alter der Mauern hin. Ihre Gewände bestehen nicht aus Werkstein, sondern aus Bruchsteinmauerwerk; in der Kämpferzone sitzt auf ihnen das Maßwerk auf und zwar durchgängig nicht exakt. Man kann davon ausgehen, daß die Arkatur in den von den Außenwänden gebildeten Raum hineingestellt wurde. Als Vorgängerbau oder als Zwischenplanung läßt sich angesichts der Höhe der Horizontalfuge am besten eine Stufenhalle rekonstruieren. Sie wäre ebenso wie der nahezu quadratische Grundriß des Langhauses landschaftstypisch.
Die schwierigste Aufgabe hatte also der Baumeister des Langhauses zu lösen: zwischen den schon weit aufragenden Chor- und Turmbauten war unter Verwendung älterer Umfassungsmauern und bereits begonnener Teile ein Langhaus zu gestalten. Auch was die Höhe des Raumes anbelangt, war er nicht frei; der Dachfirst durfte den Turmumgang nicht überschneiden. Hinzu kam, daß ein Langhaus, verglichen mit einem Chor oder Turm, als Bauaufgabe einen bescheideneren Rang einnimmt. Hier herrscht das Gebot der Zweckmäßigkeit im irdischen Sinne. Chor und Turm waren seit jeher dem Himmel zugeordnet, das Langhaus der Erde: der Pfarrgemeinde war ein Raum zum Hören der Predigt zu schaffen, möglichst groß auch für die Aufstellung zahlreicher Altäre. Darüberhinaus war an die Wallfahrer zu denken, die für ihre Andacht, zum Aufenthalt und gegebenenfalls zum Übernachten Platz brauchten. Zu diesen vergleichsweise irdischen Aufgaben gehörte auch, daß das Langhaus Begräbnisort war.
Der Baumeister gestaltete das Langhaus als Hallenraum, dessen Atmosphäre durch die ruhige Folge der großen Kreuzgewölbe auf breiten Pfeilern, durch die weiten Wandflächen und durch die feinteiligen, dekorativen Netz- und Springgewölbe der begleitenden Seitenschiffe bestimmt wird.
Sie nehmen den Reichtum des Turmgewölbes auf und bereiten auf die Gestaltung des Chores vor. Auf ihn bleibt das Langhaus bei aller Unterschiedlichkeit ausgerichtet durch die längsovalen Pfeiler und die kräftigen, landesüblich niedrig ansetzenden Gurtbögen. Den Abschluß bildete die Errichtung der kleinen Vorhalle mit einem zierlichem Maschennetzgewölbe.
Dem Baumeister waren Bauten aus dem Gerthener-Kreis vertraut, er nimmt mit dem Maßwerkgewölbe im südlichen Seitenschiff ein in der Nachfolge des Frankfurter Meisters beliebtes Motiv auf. Er zitiert, aber er spricht eine andere Sprache. Man findet viel von ihr, minder anspruchsvoll formuliert, in Oberdiebach wieder.
Die Baumeister
Vergleicht man die Formensprache der Baumeister, so läßt sich der des Chores dem Kreis um den Frankfurter Stadtbaumeister Madern Gerthener zuordnen. Stilistisch und zeitlich schließt der Armsheimer Chor an die von Madern Gerthener entworfenen Chöre der Frankfurter Leonhardskirche (Weihe 1434) und der Oppenheimer Katharinenkirche (1415 – 1439) an.
Der Meister des ersten Langhausentwurfs, der vielleicht eine Emporenhalle vorsah, wie sie gleichzeitig in St. Goar entstand, gehört der mittelrheinischen Kunstlandschaft an. Vom Meister des Kirchturms läßt sich nur sagen, daß er die großen Turmprojekte von Freiburg, Straßburg und Frankfurt kannte. Die Art, vom quadratischen Unterbau zum oktogonalen Obergeschoß überzuleiten, könnte als Hinweis darauf gesehen werden, daß er die Frankfurter Baurisse Madern Gertheners kannte. Auch die Verbindung strenger kubischer Untergeschosse mit einem reich gestalteten oktogonalen Obergeschoß findet sich dort. Sollte der das Oktogon abschließende Fialenkranz auf alte Befunde zurückgehen, ließe er sich, zumal in Verbindung mit den hier vorhanden gewesenen Wasserspeiern auf den Frankfurter Riß zurückführen. Angesichts der besonderen Qualität des Turmentwurfs wurde wiederholt die Vermutung geäußert, er sei ein Werk Nikolaus Eselers des Älteren, weil er zu dieser Zeit die bekannteste Baumeisterpersönlichkeit im Umkreis war. Belege hierfür gibt es nicht.
Der Meister des Langhauses ist hinsichtlich seines Werdeganges schwer einzuschätzen. Da auch er kein Meisterzeichen hinterließ, ist er vermutlich selten auf der Baustelle gewesen und hatte sich von Parlieren vertreten lassen.
Und doch gibt es im Zusammenhang mit der Einwölbung einen Hinweis auf sein Herkommen in Gestalt eines Steinmetzzeichens auf einer Konsole des nördlichen Seitenschiffs. Obgleich es flüchtig eingeritzt scheint, ist es doch an prominenter Stelle eindeutig genug, um als Dokument ernstgenommen zu werden. Nachdrücklicher gestaltet findet sich dieses Zeichen zusammen mit Jahreszahlen auf Baumeisterschilden in den Gewölben der Kiedricher Valentinskirche 1481, 1490 und 1491, ohne Datum im Gewölbe der Rauenthaler Antoniuskirche, mit der Jahreszahl 1493 auf der Kiedricher Kanzel. Der Name des Steinmetzen und Baumeisters ist nicht überliefert, er gilt als „Meister des Kiedricher Chorgewölbes“. Auf Grund seiner Formensprache ordnet man ihn dem Umfeld Hans Stethaimers und also der niederbayerische Bautradition zu. Sie spielt in den siebziger und achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts in der mittelrheinischen Kunstlandschaft eine erhebliche Rolle, die bedeutendsten Bauten sind die Kirchen in Herrnsheim und Bechtolsheim und der Chor der Udenheimer Bergkirche des Baumeisters Jakob von Landshut. Die gleichzeitige Anwesenheit des Bildschnitzers Erhart Falkener aus Abensberg mit seiner Werkstatt macht deutlich, daß Meister Jakob von Landshut nicht der einzige war, der aus dem Donauraum gekommen war. Denkbar also, daß der Meister des Kiedricher Chorgewölbes gleichsam ein Wegbereiter des Niederbayerischen in dieser Landschaft war und in Armsheim mitgearbeitet hat, bevor er nach Kiedrich ging. Das alles ist hypothetisch; im Grunde kann nur gesagt werden, daß in Armsheim ein Steinmetz ein Zeichen einschlug, das ebenso gestaltet ist wie das des Kiedrichers. Sollte es derselbe sein, wäre die Entstehungszeit des Armsheimer Gewölbes auf die siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts einzugrenzen. Ein solcher Schluß fände seine Bestätigung in der Anbringung des Kurwappens auf Schlußsteinen nach 1471 und in der Stiftung zweier Altäre 1477.
Man könnte die Frage nach dem Herkommen und auch nach der Identität des Urhebers dieses Zeichens auf sich beruhen lassen, wäre nicht ein Baumeister bekannt, dessen Zeichen diesem gleicht: es ist der Steyrer Stadtbaumeister Wolfgang Tenk. Ein Hinweis an dieser Stelle könnte zu weiteren Untersuchungen Anlaß geben: Wolfgang Tenk ist 1475 in Admont nachweisbar, wird 1480 Hüttenmeister der Admonter Bruderschaft, leitete ab 1483 den Bau der Steyrer Stadtpfarrkirche. Wo er sich zwischen 1475 und 1483 aufhielt, ist nicht bekannt. Weder seine Rolle in der Bruderschaft noch die Bauleitung der Steyrer Stadtkirche verpflichteten ihn zur Anwesenheit in Admont und Steyr. Daß Baumeister auch weit voneinander entfernt liegende Vorhaben leiteten und sich vor Ort durch Werkmeister vertreten ließen, auch von ihrem Hauptvorhaben oft längere Zeit abwesend waren, ist im 15. Jahrhundert allgemeiner Brauch. Angesichts der mangelnden Sorgfalt, mit der das Armsheimer Zeichen angebracht wurde, fällt es schwer, eine solche Urheberschaft anzunehmen; und doch ist die Spur erwähnenswert, wie auch immer das Zeichen an die Konsole gekommen sein mag.
Steinmetzzeichen
Die über den ganzen Bau verteilten Zeichen ansässiger und wandernder Steinmetzen lassen Rückschlüsse auf den Bauverlauf zu.
Über hundert verschiedene Steinmetzzeichen vermitteln eine Vorstellung von der Dimension des Baubetriebs über die Jahre hin. Einige treten wiederholt auf und zeigen, daß der Steinmetz längere Zeit auf der Baustelle tätig war. Sehr viele sind nur ein- oder zweimal vorhanden; die meisten Steinmetzen auf der Baustelle waren auch hier Wandergesellen.
Generell kann angenommen werden, daß bezeichnete Quader auf eine Abrechnung im Stücklohn schließen lassen. Angesichts der überlieferten Klagen über schlechte Qualität der im Fürgriff (Akkord) hergestellten Werkstücke, schützte eine Signierung auch den Bauherrn.
Wenn der überwiegende Teil der Quader kein Zeichen trägt, spricht dies für eine vorherrschende Verdingung im Taglohn. Es gab Zeiten, in der die eine oder andere Verdingung überwog. So sind alle Stufen der unteren Treppenspindel signiert, in der oberen ist kein Zeichen vorhanden. Überhaupt erweckt der Zustand dieser Treppe den Eindruck, als sei sie komplett als Bausatz geliefert.
Da Steinmetzen im Gegensatz zu Maurern das ganze Jahr über arbeiteten – im Winter in der Hütte unter Dach – kann man keine sicheren Rückschlüsse ziehen, wann und wie lange jemand geblieben war. Auch mußten sie auf Vorrat arbeiten, denn im Sommerhalbjahr konnten die Maurer nur so schnell vorankommen, wie Quader zur Stelle waren.
Wichtig für die Einschätzung von Bauverlauf und Bauzeit sind Zeichen, die am gesamten Bauwerk vertreten sind; von ihnen gibt es an der Armsheimer Kirche mindestens zwei. Sie befinden sich schon in der unteren Mauerzone des Chores, auf den Stufen der Turmtreppe und am Turmoktogon. Beide Bauteile entstanden also im Laufe einer Generation, da auch gleiche Zeichen an Chor und Langhaus auftreten, gilt dies auch für Chor und Langhaus. Überhaupt läßt die Verzahnung der Bauteile Chor und Sakristeianbau, Sakristeianbau und Langhaus, Langhaus und Treppenturmtür durch Zeichen auf einen zügigen Bauverlauf schließen.
Über die Größe der Armsheimer Bauhütte kann man angesichts des Fehlens aller schriflichen Überlieferung nur spekulieren, weil der größte Teil der Handwerker, die Steinmetzen im Bruch, die Maurer zum Bruchstein-, zum Quadermauern und zum Putzen, keine Spur hinterließen.
Am ehesten läßt der Befund am Treppenturm einen Schluß zu: jede Stufe ist gekennzeichnet und 15 Zeichen sind vorhanden.
Einander sehr ähnliche Zeichen, von denen es eine Reihe an diesem Bau gibt, lassen darauf schließen, daß die Steinmetzen in einer Hütte oder bei einem Meister gelernt hatten und gemeinsam unterwegs waren. Zu ihnen gehören jene beiden, die vom Baubeginn bis zur Vollendung nachweisbar sind. Mindestens sieben Zeichen im Langhausbereich, die alle als Leitfigur einen Winkel haben, arbeiteten an der Nordarkatur des Langhauses. Eigentümlichkeiten der Zeichen lassen die Vermutung zu, daß der Trupp aus dem Donauraum kam; auch das Zeichen Jakob von Landshuts hat als Leitfigur den Winkel. Es ist derselbe Bereich des Baues, in dem sich auch das Zeichen befindet, das dem des Kiedricher Wölbmeisters gleicht.
Die Abbildung zeigt die Verbreitung der Zeichen auf Bauteilen. Wiedergegeben wurde von jedem einzelnen Zeichen nur eins je Bauabschnitt, unabhängig von der Häufigkeit. Spiegelbildliche Zeichen gelten als zwei, gedrehte werden in jeder Position abgebildet, weil sie als solche Dokumente sind, zumal für eine Drehung viele Ursachen angenommen werden können.
Auf einen Handwerkerbrauch, der seinen Niederschlag an vielen bedeutenden Bauwerken findet, läßt die Ansammlung verschiedener Zeichen am Oktogon schließen. Sehr große Zeichen aus dem 19. und wohl auch 20. Jahrhundert zeigen, daß der Brauch lebendig blieb.
Epoche
Die besondere Qualität der Heilig-Blut-Kirche zeigt sich in der Entschiedenheit, mit der die Bauteile im Hinblick auf ihre Funktion gestaltet sind: darin wird die Bedeutung sichtbar, die man den einzelnen Aspekten des kirchlichen Lebens zusprach. Zugleich gibt es Anzeichen für einen liturgiegeschichtlichen Wandel, wie er für Umbruchszeiten charakteristisch ist.
Der Chor folgt nicht nur hinsichtlich der Bauformen, sondern auch der liturgischen Funktion den großen Vorbildern des 13. und 14. Jahrhunderts. Seine Abgeschlossenheit charakterisierte ihn als heiligen Raum, in dem die Priester als Mittler zwischen Gott und den Gläubigen amtierten und im täglichen Meßopfer die Heilstat Christi wiederholten. Die geweihte Hostie, in der Christus leibhaft gegenwärtig gedacht wurde, war hier aufbewahrt. Damit ist die Architektur des Chorbaues Ausdruck der Konzentration des religiösen Lebens und des theologischen Denkens auf das Altargeschehen. Der gesamte Kirchenbau war auf dieses am Hochaltar vollzogene Geschehen hin orientiert, woran sich auch nichts änderte, als Nebenaltäre in größerer Zahl hinzukamen.
Von den weiteren Altären war der Kreuzaltar durch seine liturgische Bedeutung und die Stellung vor dem Chorbogen hervorgehoben. Im Gegensatz zum Hochaltar, der in erster Linie dem Opfergedanken diente, war er auf das Kommunionsgeschehen hin ausgerichtet.
Die auf Stiftungen zurückgehenden Seitenaltäre in den Seitenschiffen dienten vor allem den Formen privater Frömmigkeit. Der Überlieferung nach gab es Altäre der Muttergottes, der heiligen Katharina und des heiligen Nikolaus. Hinzu kamen die beiden Stiftungen von 1477, von denen eine den Heiligen Valentin, Agnes, Ursula und den 11000 Jungfrauen galt, die andere dem Apostel Jakobus und den Heiligen Sebastian und Agathe.
Von einem Altar neben dem Nordportal ist das Fundament und das kleine Fensterchen erhalten. Da sich östlich in unmittelbarer Nähe das Grab des Vikars von St. Nikolaus befand, ist anzunehmen, daß hier der Nikolausaltar stand. Es war zudem der Bereich des Kirchenschiffes, der den Frauen und Kindern vorbehalten war – so wie es Brauch bis ins 20. Jahrhundert blieb. Er ist insbesondere ihr Schutzpatron.
Da vermutlich die beiden Nebenaltäre jeweils westlich der Portale mit den Teilen des alten Langhaus-Baubestandes übernommen wurden, liegt es nahe, die beiden an den Stirnseiten der Seitenschiffe mit der Stiftung von 1477 in Verbindung zu bringen.
War auch das im Chorraum aufbewahrte Wundertätige Blut das Hauptheiligtum und das Ziel der Wallfahrt, so war doch das Langhaus der Ort des religiösen Lebens. Hier wurden die zahllosen gestifteten Messen gelesen, die Opfergaben deponiert, die Opferkerzen entzündet, die Gebete verrichtet – hier wurde alles, was gelobt war, eingelöst. Die Gemeinschaft der hier verehrten Heiligen ermöglichte den Pilgern und Wallfahrern neben der Verehrung des Wundertätigen Blutes auch den Beistand der Heiligen zu erbitten, die hier verehrt wurden und von denen sich möglicherweise hier Reliquien befanden. Valentinus half gegen die Epilepsie, Nikolaus, vor allem aber Jacobus waren Schutzherren der Pilger und Wallfahrer, Sebastian bewahrte vor Krankheiten, insbesondere der Pest, Agatha beschützte in Feuersgefahr. Unter den hier verehrten Heiligen befinden sich drei, deren Verehrung mit Wallfahrten verbunden sind, die am Mittelrhein zu jener Zeit eine große Rolle spielten: die zum heiligen Valentin nach Kiedrich, zur heiligen Ursula und den elftausend Jungfrauen nach Köln und die zum Apostel Jacobus nach Santiago di Compostella.
In ganz besonderer Weise aber bildet die Verehrung des Wundertätigen Blutes das Zusammenspiel von theologischen Reflexionen, liturgischen Forderungen und religiösem Verhalten ab. In dieser Hinsicht kennzeichnet die vermutlich kurze Geschichte der Armsheimer Wallfahrt mit ihrem Aufstieg und jähen Ende einen tiefgreifenden Wandlungsprozeß der Vorstellungswelt. Neben die seit dem 11. Jahrhundert bekannte Verehrung von „wahrem Blut Christi“ wie in Weingarten, gesellte sich zunehmend die Verehrung wundertätiger geweihter mit einem Blutstropfen versehener Hostien und ebenso wundertätigen geweihten Weines. Die Zunahme von überlieferten Blutwundern korrespondierte mit der theologischen Hochschätzung des Meßopfers und des Altargeschehens überhaupt – und demzufolge in der Einschätzung des Priesteramtes -, aber auch mit einem zunehmenden Heilsverlangen, das sich auf das Leiden Christi und auf das hinterlassene Unterpfand konzentrierte.
Mit der Zunahme einer religiösen Erregbarkeit und einem entsprechenden Heilsverlangen mehrten sich im 14. und 15. Jahrhundert die Nachrichten über Blutwunder, so daß die Zahl der Hostien-Wallfahrtsstätten bald unübersehbar war. Hinzu kamen die gläubig verehrten Blutkorporalien, Tücher, auf denen eucharistischer Wein geheimnisvolle Zeichen hinterlassen hatte wie in Walldürn und Bolsena.
Von welcher Art das Wundertätige Blut von Armsheim war, ist nicht überliefert, und doch kann die zweimalige Darstellung eines von Engeln gehaltenen Korporale mit einem Kelch als Hinweis darauf gelten, daß es sich um die Verehrung dieser beiden Gegenstände handelte. Es würde nicht schwerfallen, aus den Inhalten des Bildprogramms des Chorgewölbes eine Legende zu konstruieren, in deren Mittelpunkt die Erscheinung eines Engels steht, der einen Kelch auf einem Korporale herabträgt, den einen zur Belehrung, den anderen zur Bestätigung ihres Glaubens. Immer war ein Wunder auch als Beweismittel betrachtet worden, und Legenden entwickelten sich aus einem solchen Kern.
Zur allgemeinen religiösen Sensibilität im 15. Jahrhundert gehört die zunehmende Bedeutung der Predigt. In diesem Zusammenhang bildete sich liturgisch neben der Meßfeier am Vormittag als eigene Form der Predigtgottesdienst am Nachmittag aus. Sein Zentrum war nicht der Altar, sondern die Kanzel, der ihm zugeordnete Raum war das Langhaus.
Wenn die Gestaltung der Kanzeln im deutschen Sprachraum im Laufe des 15. Jahrhunderts zunehmend zu den anspruchsvollsten künstlerischen Aufgaben zählt, dann ist dies ein Gradmesser für die Bedeutung der Predigt. Um 1500 werden die Kanzeln den Sakramentshäusern angeglichen. Auch dieser allgemeine liturgische und baukünstlerische Prozeß ist an der Ausstattung der Armsheimer Kirche sogar soweit ablesbar, daß es nicht sicher zu entscheiden ist, ob der gegenwärtige Kanzelfuß nicht ursprünglich der des Sakramentshauses war.
Die Gestaltung des annähernd quadratischen Armsheimer Langhauses bildet die Divergenz der Ausrichtungen ab: einerseits wird die Kirchenachse betont, die auf das liturgische Geschehen am Hochaltar im Chor ausgerichtet ist, andererseits aber ist durch die Weite des Raumes die Orientierung auf die Kanzel ermöglicht. Hinzu tritt die prächtige Einwölbung der Seitenschiffe, die auf diese Weise gegenüber dem Hauptschiff aufgewertet werden, zumal sich in ihnen die Nebenaltäre befinden. Unabhängig davon, ob dies eine erklärte Absicht der Erbauer war oder nicht: tatsächlich entspricht die Gestaltung der Seitenschiffe der Bedeutung, die die Formen privater Frömmigkeit gewonnen hatten.
In alledem bahnt sich nicht nur eine liturgische, sondern überhaupt eine religiöse Wende an. Die heutige Kanzel ist ein Beleg für diesen Vorgang, unabhängig davon, ob ihr Unterbau ursprünglich als Kanzelfuß gedacht war oder erst in der Reformation hierzu verwendet wurde. In jedem Fall dokumentiert die Verbindung von Leidenswerkzeugen und Kanzel die Vorstellung, Christus sei in der Verkündigung gegenwärtig. Wird dies betont, schwindet die Bedeutung des Chores als eigenständiger Bauteil. Bereits seit dem 13. Jahrhundert nimmt die Zahl der Predigtkirchen mit rudimentären Chorbauten zu. Im 15. Jahrhundert wird im Umkreis Madern Gerteners noch einmal die Architektur der Chöre auf besondere Weise kultiviert; in Armsheim veranlaßte die Verehrung des Wundertätigen Blutes dazu, an diese Tradition anzuknüpfen.
Die Armsheimer Wallfahrt und die Errichtung einer Pfarr- und Wallfahrtskirche sind Ausdruck des im 15. Jahrhundert geradezu aufschäumenden Heilsverlangens, das sich in einem bislang nicht beobachteten Anwachsen der Wallfahrtszüge und einer Opferbereitschaft äußerte, die zum Bau unzähliger Kirchen und Kapellen führte. Ein solches Verlangen kulminierte im Glauben an Mirakel und an die magische Kraft alles Heiligen, zumal des Allerheiligsten. Darüberhinaus wünscht es Bestätigung: jedes publik gemachte Wunder bewies erneut die magischen Kräfte heiliger Gegenstände. Sorgfältig geführte Mirakelbücher bewiesen die Wirkung göttlicher Kräfte an besonderen Orten.
Notwendig gehört zum Mirakelglauben und zur Wallfahrtseuphorie deren kritische Einschätzung. Auf diese Weise ist die Bedeutsamkeit des Geschehens oft doppelt bezeugt. Dies gilt auch für die Armsheimer Wallfahrt. Der ersten überlieferten Erwähnung auf dem Gründungsstein folgt die zweite aus der anderen Perspektive. Es ist ein Spruch des Wandermagisters und Chorallehrers Conrad von Zabern aus der Zeit um 1445.
Wichtig im gegebenen Zusammenhang ist dieser Spruch zum einen durch die Erwähnung eines Armsheimer Wallfahrtsgeschehens mit den entsprechenden Wunderberichten, zum anderen durch die Wallfahrtskritik, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzt. Die Frage der sogenannten Echtheit der Wunder wird eher beiläufig behandelt angesichts des Hauptproblems, daß sich Menschen den ihnen um ihres Seelenheils auferlegten Beschwernissen zu entziehen versuchen – und sei es durch Wallfahren. Als problematisch gilt die von den Wunderzeichen ausgehende Irritation.
Betrachtet man das geistesgeschichtliche Umfeld, dann erscheint die Architektur des Chores mit dem Bildprogramm des Gewölbes weniger als Dokument eines unbestrittenen Daseins- und Glaubensverständnisses, sondern eher als dessen Beschwörung. Die drei Männerköpfe im Gewölbe – unbotmäßiger alter Mann mit herausgestreckter Zunge, Narr, feister Mönch – repräsentieren Probleme der Kirche des 15. Jahrhunderts, deren Schlüsselgewalt durch die Gestalt des Petrus auf dem Schlußstein der Sakristei bekräftigt wird.
Daß die Hierarchie der Bauteile im Chorgewölbe gipfelt, entspricht altem Brauch, dem auch der Architekt des Langhaus-Umbaus folgt, freilich mit erheblichen Modifikationen, die darauf hinweisen, daß Selbstverständliches nicht mehr ohne weiteres als solches galt.
Während er mit dem Langhausgewölbe und ihrer Ausrichtung auf die Chorgewölbe noch der strengen hierarchischen Konzeption folgt, zeigen die Seitenschiffgewölbe, daß sich die alte Verbindlichkeit auflöst. Sie erscheinen als prächtige Decken, wobei das südliche mit seinem Netz von Ziersternen noch auf die Mittelschiffsjoche bezogen bleibt, das nördliche sie in der Folge der Dreistrahlgewölbe überspielt. Bilden die Schlußsteine beim ersten noch eine Achse, so springen sie beim zweiten. Man kann hierin einen Sieg des Dekorativen über das streng Sinnbildhafte sehen, aber es ist mehr, was schon ein Blick auf die Stellung der Nebenaltäre verrät.
Solange man das Kirchengebäude als Ganzes als Symbol des Himmlischen Jerusalem betrachtete, gehörten die Schlußsteine den heiligen Gestalten und Symbolen. Wo aber dieser Gedanke verblaßte, wurde das Gewölbe als Decke eines Raumes betrachtet und konnte auch die Wappen von Stiftern und Kirchenpatronen aufnehmen. Daß nun das Gewölbe nicht mehr als Abbild des Himmels angesehen wurde, sondern als Raumabschluß, zeigt der Langhausmeister über dem südlichen Eingang: das Maßwerk gibt den Blick frei und die Sonne strahlt vom blauen Himmel in die Kirche herein.
Schlußstein-Symbolik in den Seitenschiffen
Die Anordnung der Zeichen und Symbole auf den Schlußsteinen scheint auf den ersten Blick willkürlich zu sein: nebeneinander stehen Hand Gottes, Kurpfälzer Wappen, Dreipaß-, Vierpaß- und Sternkonstruktionen. Und doch herrscht in der Abfolge und durch den Bezug auf das darunter anzunehmende liturgische Geschehen eine strenge Ordnung.
Die jeweils östlichen Schlußsteine sind auf die Altarplätze unter ihnen bezogen: im Süden die segnende Hand Gottes, im Norden eine Verbindung von Dreipaß und Dreieck, zweier Trinitätssymbole, deren Unterscheidung und Verbindung zu spirituellen Betrachtungen veranlaßt. Die folgenden Schlußsteine, unter denen die Gläubigen vor den Altarstufen standen, tragen im Süden einen Vierpaß, im Norden das kurpfälzer Wappen, das einer Verbindung von Vierpaß und Quadrat aufgelegt ist. Damit folgt auf die Drei als Ordnungszahl des Göttlichen die Vier als die der materiellen Welt. Wenn der Vierpaß mit dem Wappen der Landesherrschaft korrespondiert, dann ist deren Auftrag hinreichend legitimiert. Im Bereich des mittleren Joches, in das von Norden und Süden die Portale führen, steht im Norden über dem Zugang ein sechszackiger Davidsstern, der als schutzmächtiges Symbol und Zeichen liebender Durchdringung der Liebe Gottes zur Welt und der Liebe der Welt zu Gott galt. Hierauf folgt im selben Jochbereich ein Vierpaß. Im Süden befindet sich über dem Eingang ein Maßwerkvierpaß, der den Blick auf den Himmel mit der Sonne freigibt, das vornehmste Sinnbild des Göttlichen. Ist dieses Joch allein der göttlichen Späre zugeordnet, der sich der Eintretende nähert, so folgt im Süden wieder die irdische mit dem kurpfälzer Wappen, gefolgt von einem sechszackigen Stern, dem ein kleinerer einbeschrieben ist. Im Norden folgen dem Vierpaß zwei Dreipässe, von denen einer in einem Kreis steht, der andere mit einem Dreieck kombiniert ist.
Während das Gewölbe im Norden mit einem leeren Wappenschild schließt, wird im Süden die Zahlensymbolik zur Acht hin, der Zahl des Glücks, entfaltet: zwei Quadrate bilden einen Achtstern als Symbol der doppelt geordneten materiellen Welt, in deren Mittelpunkt ein vielstrahliger Stern steht. Da die Acht als Hinweis auf die Taufe und als deren Symbol galt, ist unter diesem Schlußstein der Taufstein zu denken.
Der Ort des Taufsteines gibt einen Hinweis auf die Benutzung des Langhauses. Da die Taufe in dem Teil der Kirche stattfand, der den Frauen vorbehalten war – Nordseite oder hinterer Teil – kann aus der Stelle des Taufsteins geschlossen werden, daß der Bereich westlich der Portale ihnen vorbehalten war. Er blieb es verbindlich bis ins 20. Jahrhundert.
Die beiden Grundrichtungen
Das ikonographische Programm des Langhauses bestätigt den ersten Eindruck, daß dieser Hallenraum Ausdruck eines anderen Weltverständnisses ist als die Baugruppe östlich des Lettners: Der Chorbereich ist vertikal konzipiert. Vor dem trinitarischen Dreipaß erscheint der Engel mit dem Kelch angesichts der Repräsentanten unterschiedlicher Lebenskonzepte. Alles, was darunter geschieht, ist unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten. Die Schlüsselfunktion in dieser Welt hat die Kirche; Petrus in der Sakristei steht im Vierpaß. Diese Welt ist hierarchisch geordnet und es gibt nur einen Standpunkt, sie richtig zu deuten.
Im Hallenraum dagegen kann der Betrachter von jedem Standpunkt aus das Entfaltungsspiel des Göttlichen in der Welt sehen. Man könnte pointieren, im Chor gebe es für jede Frage nur eine Antwort, im Langhaus viele. So wie es hier viele Altäre zur Anbetung vieler Heiligen gab.
Damit spiegelt dieser Kirchenbau auch eine Akzentverschiebung innerhalb der ästhetischen Grundanschauungen seiner Zeit. Der Chorbau ist Ausdruck einer Vorstellung von Schönheit, die sich in der Herrschaft von Licht, Maß und Proportion offenbart: schön ist das Gebäude, weil Ordnung alle Teile bestimmt. Da Häßlichkeit in einem Mangel an Ordnung besteht, hat sie keinen Platz in einem solchen Bau. Es ist die Anschauung, die die Welt der Kathedralgotik bestimmte.
Aber schon im Sakristeianbau ist zu beobachten, daß eine andere Vorstellung sich anbahnt: die Ausdrucksstärke der monströsen Köpfe beruht nicht auf einem Mangel an Schönheit, sondern ist Zeichen einer Eigenständigkeit ihres Daseins. Nicht die Klarheit der Entfaltung einer Grundfigur als Bezugspunkt der Einheit bestimmt vornehmlich die Schönheit, sondern die Vielfalt der einzelnen Erscheinungen. Das ist die Überlegung, der die Ästhetik des Langhauses folgt. Licht, Maß und Proportion treten als Normen zurück. Deshalb konnte man auf alten Fundamenten, unter Einbeziehung alter Mauerreste weiterbauen und sich, was den Stil betrifft, abwenden, weil die Verbindlichkeit der alten ästhetischen Norm sich aufgelöst hatte. Das Mißgestaltete gehört nun ganz selbstverständlich zum Kosmos des Ganzen, zumal es das Wohlgestaltete um so stärker hervortreten läßt. Dieser neuplatonische Gedanke wurde wieder aufgegriffen und zur ästhetischen Theorie entwickelt, als der Armsheimer Bau entstand. Weil nämlich erst die Vielfalt des Einzelnen das Ganze ausmacht, deshalb können so grundverschiedene Bauteile wie Chor, Langhaus und Turm ein harmonisches Ganzes bilden, weil sie, jedes für sich, auf eigenständige Weise schön sind.
Vollendung der Kirche und erste Verwüstung
Als kurpfälzer Ort wurde Armsheim in den politischen Niedergang dieses Territorialstaates im Landshuter Erbfolgekrieg hineingezogen und – seit 1470 der Mauern beraubt – 1504 eine leichte Beute seiner Gegner. Die Geschichte dieses Kurstaates bestimmte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch die des Dorfes.
Das Datum der Kirchweihe ist nicht überliefert. Die kurpfälzer Wappen in den Seitenschiffen sprechen dafür, daß die Gewölbe nach 1471 errichtet wurden. Auf eine Vollendung in der Mitte der 1470er Jahre läßt die Stiftung zweier Benefizien im Jahre 1477 schließen.
Die Zugehörigkeit zur Pfalz riß Armsheim in die politischen Verwicklungen dieses Kurstaates hinein: in der Pfalz-Bayerischen Fehde 1504 wurde der Ort völlig zerstört und die Kirche in Brand gesteckt.
Kurfürst Philipp der Aufrichtige (reg. 1476 – 1508) hatte gegen vertraglich getroffene Vereinbarungen das Teilherzogtum Niederbayern für seinen Sohn beansprucht und dieser hatte 1504 das Land zu erobern versucht, worauf sich mit dem Kaiser auf der Gegenseite die meisten der ehemaligen Feinde Friedrichs des Siegreichen formierten und in die Kurpfalz einfielen. Unter ihnen war Landgraf Wilhelm von Hessen, von dem Johannes Trithemius in der Sponheimer Chronik schreibt, er habe alle erreichbaren pfälzischen Dörfer angegriffen und angezündet. Auch habe er sich nicht gescheut, die Gott geweihten Kirchen zu plündern und einzuäschern, das Dorf Armsheim sei samt seiner neuen schönen Kirche verbrannt und elendiglich zerstört worden. Da Landgraf Wilhelm keine Belagerungsmaschinen mit sich führte, hatte die Entfestung des Ortes die Katastrophe ermöglicht.
Eine ausführlichere, literarisch überhöhte Darstellung findet sich in Johannes Trithemius´ „Geschichte des Bayerischen Krieges“. Es ist neben dem Gründungsstein die wichtigste Quelle für den Kirchenbau: Die prächtige und über die Maßen schöne Kirche, die vor einigen Jahren aus Opfergaben und Gedächtnisstiftungen der dort zusammenströmenden Gläubigen zu frommem Gedenken des Blutes des Herrn errichtet worden war, hätten die Zerstörer, nachdem sie die Gefäße und Gewänder geraubt hatten, in Gegenwart der weinenden Priester in Brand gesetzt.
Die Spuren dieses frühen Brandes, der sowohl im Innenraum gewütet als auch das Langhausdach ergriffen hatte, sind noch sichtbar. Sie betreffen das Gewände einer zwischenzeitlich vermauerten und überputzten Tür vom Chor in die Sakristei und Gewölberippen des westlichen Langhausgewölbes. Es liegt nahe, hier den Brand einer hölzernen Empore oder einer Orgel, dort den eines Chorgestühls anzunehmen. Entsprechende Zerstörungen der Steinoberfläche durch große Hitze zeigen die Türgewände von Turmraum und Treppenhaus im Bereich des Langhausdaches.
Den Spuren nach war die Zerstörung der Kirche nicht so gründlich, wie die Darstellung vermuten läßt. Zu den Verlusten des Jahres 1504 muß auch die alte Kanzel gerechnet werden.
Wiederholter Konfessionswechsel und seine Auswirkungen auf den Bau
Mit der Einführung der Reformation in der Mitte des 16. Jahrhunderts verlor die Kirche ihre Bedeutung als Wallfahrtskirche. Im Sinne calvinistischer Frömmigkeit wurde der Raum als Predigtraum gestaltet. Die calvinistische Epoche mit ihrer entschiedenen Bilderfeindlichkeit endete im Jahre 1822 mit der Vereinigung der Reformierten Kirche mit der Lutherischen zur Evangelischen Kirche.
Der Charakter der religiösen Umwälzung um die Mitte des 16. Jahrunderts zeigte sich in der Beseitigung nahezu aller Dokumente herkömmlicher Frömmigkeit, aller Altäre und des Lettners sowie in der Beschädigung der Grabmäler. Abgesehen von den hinterlassenen Spuren scheinen alle Dokumente über das, was im einzelnen in Armsheim geschah, verloren zu sein.
Voraussetzung für die Durchführung der Reformation war das Besetzungsrecht der Pfarrstellen, das Kurpfalz mit dem Patronat besaß. Angesichts der Intention der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1546, die kirchliche Tradition so weit wie möglich zu wahren, war die Besetzung der Armsheimer Pfarrstelle mit einem lutherischen Prediger im Jahre 1556 ein erster Schritt zur Änderung der Verhältnisse. Notwendigerweise brachte sie neben der Einführung der deutschen Messe das Ende der Heiligenverehrung und des Wallfahrtswesens mit sich.
Im selben Jahr erließ Kurfürst Ottheinrich in Alzey eine neue Kirchenordnung, die mit ihrer Unterscheidung von Predigt-, Abendmahls- und Katechismus-Gottesdienst die auf dem Vorrang der Meßfeier beruhende liturgische Tradition beendete.
Wichtig für das weitere Geschehen wurde die Einberufung einer Kommission zur Durchführung einer Kirchenvisitation im Sommer 1556. Erwartungsgemäß bezeichnete sie alles als Mißstand, was nicht reformatorischen Vorstellungen entsprach. Der hieraus entwickelte Maßnahmenkatalog enthält die Forderung nach Beseitigung der Heiligenbilder und „überflüssigen“ Altäre, nach Verkauf der Meßgewänder zum Besten der Almosenkasse.
In welchem Maße die Reformation an theologischen und verwaltungsmäßigen Kriterien orientiert war, verrät einerseits eine Formulierung des Schlußberichts, die von „allerlei abgöttischen Bildern, Altären, Tafeln, Kreuzfahnen und dergleichen papistischen Ceremonien“ spricht, an denen der gemeine Pöbel noch hänge, andererseits die Verwendung des Kriteriums der Überflüssigkeit etwa angesichts der Zahl der Altäre und der Besetzung von Altaristenstellen im Sinne des Verwaltungsdenkens. Die von der kurfürstlichen Administration veranlaßte Durchführung bedeutete das definitive Ende des alten Kultus und des Wallfahrtsgeschehens.
Ottheinrichs Nachfolger Friedrich III. (1559 – 1576) drang darüberhinaus auf eine demonstrative „Vollendung der Reformation“, die mit der Kirchenordnung von 1563 und dem Heidelberger Katechismus die rechtliche und theologische Grundlage erhielt. Als Gottesdienstformen waren nur noch Predigtgottesdienst und Abendmahlsfeier für Sonn- und Feiertage, Wortverkündigung für Werktage vorgesehen. Gottesdienste bestanden aus Psalmengesang, Gebet, Vaterunser, Predigt, Sündenbekenntnis, Gnadenverkündigung und Segen, Andachten aus Predigt und Psalmen.
Die Umgestaltung des Innenraums folgte den neuen Bedürfnissen. Die auf Anweisung Friedrichs III. am 14. Mai 1565 erfolgte Zerstörung der Einrichtung der Oppenheimer Katharinenkirche war das Signal für die Verwüstung aller Kirchen der Kurpfalz und damit auch der Armsheimer.
Mit der Beseitigung des Hochaltares und der Versetzung der Kanzel unter den Chorbogen war mit seiner Funktion auch die ursprüngliche Würde des Chorraumes aufgehoben, was durch eine Ausstattung mit einem auf Kanzel und Altar hin ausgericheteten Gestühl betont wurde.
Wiederholt wurde die Gemeinde zum Konfessionswechsel gezwungen: Unter Kurfürst Ludwig IV. (1576 – 1583) wurde zum Luthertum zurückgekehrt, unter der Regentschaft seines Bruders Johann Kasimir (1583 – 1592) wieder der Calvinismus eingeführt. Im Zusammenhang mit der Besetzung der Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg wurde die Gemeinde 1626 römisch-katholisch, 1649 wieder reformiert, mit der Einführung der Union im Jahre 1822 wurde sie evangelisch.
Die Wiederherstellung der farbigen Gestaltung und der Einbau der Chorfenster mit den Darstellungen von Christi Geburt, Kreuzigung und Auferstehung setzen die evangelische Gemeinde voraus, die sich aus der Bilderfeindlichkeit der reformierten Religiosität gelöst hat.
Das Inventar
Was von der Kirche als Bauwerk gesagt wurde, daß sie ein klarer Spiegel ihrer Epoche sei, gilt auch von ihrem Inventar. Es gilt von den Resten der zerstörten Stücke ebenso wie von den gut erhaltenen, von den frühen wie von den späten.
Die Reste der alten Verglasung
In den Maßwerkbekrönungen der Chorfenster sind Reste der Farbverglasung aus dem 15. Jahrhundert erhalten: florale Muster in den oberen Abschnitten, in den Dreipässen der Maßwerkbahnen Turmbekrönungen und Kuppeln, die die Glasbilder abschlossen, wie es an der erhaltenen Scheibe erkennbar ist, die in ein Sakristeifenster eingefügt ist und Engel in einem Architekturbaldachin zeigt. Bemerkenswert ist, daß sich unter den Architekturmotiven ein kuppelförmiger Turmhelm in der Art des Gerthenerschen Turmrisses befindet, der erst im 19. Jahrhundert realisiert wurde. Es sind die einzigen am Ort erhaltenen Reste der Glasfenster aus der Zeit um 1440, die zum großen Teil bei einem Sturm 1859 zu Bruch gingen.
Grabplatten als Dokumente ihrer Epoche
Die ältesten Grabplatten entstammen dem Vorgängerbau: ein Fragment im Fußboden der Turmhalle sowie die in die Westwand eingelassenen Grabplatten des Johannes Beeck aus Odernheim und des Wigand (oder Wignand) von Hohenburg (oder Homburg/berg).
Die Platte Wigands ist leidlich gut erhalten, was darauf schließen läßt, daß sie unter Fußbodenniveau lag und im calvinistischen Bildersturm nicht zugänglich war. Den Wappen zufolge scheint er dem Niederadel angehört zu haben.
Die Inschrift lautet: + anno domini + millesimo cccc decimo xvii kalendas octobris obiit dominus wigandus de honberg pastor in armsheym.
Im Jahre des Herrn 1410 starb an den 17. Kalenden des Oktober (16.10.) Herr Wigand von Hohenberg (Hohenburg?) Pfarrer in Armsheim.
Unsicher ist die zeitliche Einordnung der Grabplatte des Vikars des Nikolausaltares, des Pfarrers Johannes Beeck aus Odernheim. Sie befand sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch am ursprünglichen Ort unweit des Nordportals. Von der Inschrift ist lesbar:
die arnolfi obiit dominus iohannes beeck (sic) de odernheim vicarius sanct nicolai cuius anima requiescat in pace amen.
Am Tag des Arnulf (18. Juli) starb Herr Johannes Beeck aus Odernheim Vikar von St. Nikolaus, dessen Seele ruhe in Frieden. Amen.
Den Grabplatten nach war Armsheim bereits vor dem Baubeginn der Wallfahrtskirche eine gut dotierte Pfarrei mit mehreren Altarpfründen. Soweit der Zustand der erhaltenen Grabplatten es erkennen läßt, war der künstlerische Anspruch nicht hoch. Angesichts der Anziehungskraft, die eine Baustelle dieses Umfangs auf qualifizierte Handwerker ausübt, brach 1431 eine neue Epoche an.
Ein solches Vorhaben aber zieht auch Stiftungen an. Und wenn der Neubau zunächst ein Werk des Landesherrn und seines Mitregenten war, so bot er doch auch Gelegenheit zu frommen Stiftungen; Johannes Trithemius hatte sie eigens erwähnt.
Es ist kennzeichnend für das 15. Jahrhundert, daß vor allem der Niederadel die Gelegenheit zu frommen Stiftungen mit der Möglichkeit gesellschaftlicher Selbstdarstellung verband. Die selbstbewußte Einfügung des Geispitzheimer Wappens in die Gründungstafel hatte schon darauf hingewiesen, in den Grabsteinen des Siegfried von Löwenstein und der Margarete von Heppenheim finden wir die schönsten Beispiele, das prächtige Wappen derer von Hohenburg im Chor ist gleichsam der Nachklang.
Was aber auf der Ebene gesellschaftlicher und politischer Selbstdarstellung sich abspielte, war nur ein Aspekt eines umfassenderen Prozesses, der sich am augenfälligsten in der Gestaltung der Grabplatten niederschlägt. Neben die ebenerdig verlegte Grabplatte, die als Teil des Fußbodens mit der Zeit bis zur Unkenntlichkeit von Bild und Schrift abgetreten wird, traten Wandplatte und Wandgrabmal. Einerseits war die Wandplatte die Lösung eines Raumproblems, weil einer Belegung des Bodens mit Platten und dem Aufstellen von Grabtumben räumliche Grenzen gesetzt sind, andererseits eröffnete das Wanddenkmal neue Möglichkeiten für die Darstellung des spezifisch Persönlichen, das sich auch als Abbild zu verewigen trachtete.
Auf eindrucksvolle Weise ist dieser Vorgang an den Grabmälern Siegfrieds und Margaretes zu verfolgen, die keine Bilder auf einer Platte mehr sind, sondern Standbilder vor einem Hintergrund. Ihrer Gestaltung nach waren beide Grabmäler nicht als ebenerdig zu verlegende Platten, sondern als auf einem Unterbau plazierte Grabmale konzipiert. Wo sie sich zunächst befanden, ist nicht bekannt. Aber es ist erkennbar, auf welche Weise sie zunächst aufgestellt waren. Die Umschrift des Grabmals der Margarete von Heppenheim folgt dem für Grabplatten entwickelten Schema und ist vom Bild der Person her zu lesen. Der Sockelbereich des Grabmals Siegfrieds wurde verändert und die Schrift auf den Betrachter hin orientiert. Als dies geschah, war entschieden, daß das Grabmal als Denkmal aufgerichtet wird.
Der Ritter steht dem Betrachter selbstbewußt im Heergewäte als Zeichen seines Standes gegenüber. Dabei wird die Panzerung überspielt durch den knielangen Rock, durch die weiten Flatterärmel, durch das aufgeklappte Visier der Beckenhaube. Der Ritter ist bei aller Strenge des gerüsteten Auftritts eine elegante Erscheinung und entspricht dem zeitgenössischen Idealbild eines zierlichen jungen Mannes. Anmut und Kraft, Gelassenheit und Aufmerksamkeit sind ebenso balanciert wie in seiner Kleidung die höfische Pracht reicher Stoffe und das Martialische der Rüstung. Das entsprechende gilt für das Denkmal der Margarete von Heppenheim zwischen der den Stand betonenden stoffreichen Kleidung aus unterschiedlichen Tuchen und der Konzentration in der Gebetshaltung. In welchem Maße das Prinzip des Balancierens die Denkmäler bestimmt, zeigt noch einmal der Vergleich beider, einerseits die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit des Mannes, andererseits die nach innen gerichtete der Frau. Bei beiden im Zusammenspiel der Familienwappen und der individuellen Persönlichkeiten. Siegfried starb 1433. Das Doppelgrabmal ist bald nach seinem Tod entstanden; hierauf deutet der Stil ebenso hin wie die Ähnlichkeit mit anderen Denkmälern dieser Zeit, die aus der selben Bildhauerwerkstatt stammen – vielleicht der der Eseler in Alzey -, insbesondere das des Johann von Lewenstein in Niedermoschel und das der Alheidis von Heppenheim aus dem Kloster Weidas. Die Umschriften der Denkmäler lauten:
+ anno domini mccccxxxiii obiit syfridus (sic) de lewenstein armiger procurator huius eclesie feria tertia post gregorie pape (sic) cuius anima requiescat in pace. amen
Im Jahr des Herrn 1433 starb Syfrid von Lewenstein, Ritter, Prokurator dieser Kirche am dritten Tag nach dem Tag des Papstes Gregor (17. März). Dessen Seele ruhe in Frieden. Amen.
+ anno domini mccccli quarta decima die mensis novembris obiit domice
lla margreta de heppeheim cuius anima requiescat in sancta pace. amen.
Im Jahr des Herrn 1451 am 14. des Monats November starb Herrin Margreta von Heppenheim. Deren Seele ruhe in heiligem Frieden. Amen.
Zwei erhaltene Dokumente belegen, daß das vom Grabstein vermittelte Bild Margaretes als einer vermögenden Frau nicht nur ihrem gesellschaftlichen Rang, sondern auch ihren Eigentumsverhältnissen entsprach: als Mitgift hatte ihr Vater Wernher von Heppenheim für sie in Armsheim Güter und Ansprüche auf Abgaben in Höhe von 1.500 Gulden gekauft. 1440 war sie in der Lage, vom Wild- und Rheingrafen Johann für 500 Rheinische Gulden das Anrecht auf eine ewige Gülte von 36 Malter Korn, zahlbar durch die Gemeinde Lonsheim, zu erwerben.
Wie die Anfertigung der Grabmäler ein weiterer Hinweis auf das Vermögen ist, so läßt ihre Aufstellung auf Stiftungen für den Kirchenbau schließen.
Das selbe gilt für das elsässische Freiherrengeschlecht der Hohenburger, deren Terrakottawappen im Chor angebracht wurde. Es ist eine in jeder Hinsicht hervorragende Arbeit aus einer mittelrheinischen Werkstatt.
Auch die zeitlich folgende Grabplatte dient dem Andenken einer Person, die am Kirchenbau maßgeblich beteiligt war: es ist der in der Gründungsinschrift genannte Pfarrer Conrad Oedenkemmer.
+ anno domini MCCCCXLIII, XII die mensis novembris obiit dominus conradus oedenkemmer (sic) de bubelnheim pastor huius ecclesie cuius anima requiescat in pace.
Im Jahr des Herrn 1443 am 12. November starb der Herr Conrad Oedenkemmer aus Biebelnheim, Pfarrer dieser Kirche, dessen Seele ruhe in Frieden.
Die Grabplatte ist dem Typus nach noch eine Bodenplatte mit flachem Relief, und doch besitzt die Gestalt eine Mächtigkeit, die dem Charakter eines Standbildes entspricht. Ihre Aufrichtung entspricht demnach jener Siegfrieds. Zweimal wurde sie demoliert, einmal beim protestantischen Bildersturm, dann bei der Aufstellung der Kirchenbänke mit Rücklehnen. Was erhalten blieb, läßt auf eine hervorragende Arbeit schließen: dargestellt ist eine große Gestalt, deren Würde durch die Stofffülle des Priestergewandes betont wird.
Die Aufrichtung dieser Grabplatte scheint ein Zeichen besonderer Reverenz gegenüber der Person angesichts ihrer Bedeutung für den Neubau gewesen zu sein. Die Platte eines Nachfolgers liegt wieder ebenerdig, wenngleich an vornehmster Stelle. Auch sie ist demoliert; sie wies neben der Inschrift einen großen Kelch auf. Sie ist stark abgetreten. Ihre Inschrift enthält die Angaben: ultima decembris obiit johannes helt de … cuius anima requiescat in sancta pace amen.
Die zeitlich folgende Platte ist die für Eberhart Ulner von Dieburg, die unter der Emporentreppe aufgestellt wurde: ANNO DOMINI 1597 DEN 8 TAG FEBRVARIVS IST IN GOTT CHRISTLICH VND SELIGLIEH VERSCHIDEN DER EDLE VND ERNFEST IVNCKER EBERHART VLNER VON DIEBERG DEREN SELE GOTT DER ALMECHTIG GENEDIG VND BARMHERCZIG SEIN WOLLE AMMEN
Auffindung und Zustand der Platte geben zu Spekulationen Anlaß: sie lag, als sie beim Heizungsbau 1911 gefunden wurde, weit unter Fußbodenniveau. Auffällig sind die Schlagspuren am oberen Teil, insbesondere die Abmeißelung des zweiten Wappens. Da Eberhart Ulner von Dieburg mit Katharina von Walderdorff (+1610) verheiratet war, ist an dieser Stelle mit ihrem Wappen zu rechnen. Es ist anzunehmen, daß es einen Anlaß gab, die Platte zu demolieren und tief zu vergraben. Die katholisch gebliebenen Ulner von Dieburg waren für die Erhaltung des Pfarrhauses zuständig, kamen gegen 1600 aber ihrer Pflicht sehr schlecht nach, so daß das 1587 als in tadellosem Zustand bezeichnete Haus mit seinen Nebengebäuden 1605 baufällig war. Dies veranlaßte Pfarrer Balthasar Germani ein „starckes Antreyben“ der Junker vorzuschlagen. Er hatte Erfolg, denn das Pfarrhaus wurde wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt. –
Eine jetzt in der Turmhalle liegende stark abgetretene Grabplatte ist Johann Gottfried Floretus, Pfarrer von Armsheim 1736 – 1752, durch die lesbaren Buchstaben des Namens „oret“ und das Geburtsdatum 24.11.1686 zuzuordnen.
Der Kanzelfuß
Ein wichtiger Überrest der alten Ausstattung ist der heutige Kanzelfuß. Sein ikonographisches Programm mit wappenhaltenden Engeln, den Evangelistensymbolen und den Leidenswerkzeugen ließen ihn auch für eine calvinistische Kirchenausstattung geeignet erscheinen. Dies gilt auch für die Inschrift „ESAIAS“, die auf die Prophezeiung vom leidenden Gottesknecht hinweist. Eine Reihe von Unstimmigkeiten ist nicht zu übersehen: Dornenkrone und Rohr auf dem großen Wappen sind offensichtlich spätere Zutat. Auf nachträgliche Veränderungen weisen die Wappen mit nur teilweise plastisch gestalteten Leidenswerkzeugen und der Übergang vom Kapitell zur Platte des Kanzelkorbes hin.
Einige Eigentümlichkeiten veranlaßten zu der Vermutung, es handele sich bei ihm um den Unterbau eines Sakramentshauses oder einer Kanzel, von der aus das Heiligtum gezeigt wurde.
Der Kanzelfuß ist doppelt signiert, mit einem herkömmlichen Steinmetzzeichen und einem dem Buchstaben „W“ angenäherten. Das erstgenannte Zeichen ist vom Blaubeurer Langhaus und – als Meisterzeichen – vom Chor der Gerlinger Pfarrkirche her bekannt; der Meister kam aus Württemberg.
Vom Lettner sind Konsolen an den Außenwänden erhalten. Eine Reihe von Architektur-Fragmenten stammen vermutlich von diesem Einbau. Sie sind durchgängig von ungewöhnlich hoher Qualität. Zur Kirchenausstattung zu zählen ist eine Marienfigur am Hause Obergasse 8 sowie Fragmente einer männlichen Gestalt. Eines der Fragmente ist mit einem „W“ signiert wie der Kanzelfuß.
Die Orgel
Die weitgehend im ursprünglichen Zustand erhaltene zweimanualige Orgel wird Johann Michael Stumm, dem Begründer der Orgelbauerdynastie in Rhaunen Sulzbach, und seinen Söhnen Johann Philipp Stumm und Johann Heinrich Stumm zugeschrieben. Sie umfaßt 20 Register. Die Prospektpfeifen geben 1739 als Baujahr an. Sie trägt mehrere Inschriften: auf Pfeifen des Mittelturms „A. Floret Pfarrer. Diese Orgel ist erbauet 1739 gemalet 1760. F. C. Pletsch R. Pfarrherr L. Heer Organist“, „Kircheneltesten: B. Treidel G. Mann“, auf der Konsole „Die Orgel bauet Die Armsheimer Reform. Gemeind Mit Beihulf Schimbsh – und Bornheimer Reformr.“.
Für den heutigen Zustand wichtig sind die Restaurierungen durch die Firma Gebrüder Oberlinger 1959 und 1990.
Inventar aus dem 20. Jahrhundert
An der Ostwand des südlichen Seitenschiffes wurde 1921ein Holzepitaph zum Gedächtnis der im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitglieder angebracht. Den oberen Abschluß bildet ein Stahlhelm mit Eichenlaub und Eisernem Kreuz im Lorbeerkranz. Es folgen die Bezeichnung „Ehrentafel“, „1914 – 1918“, „Für das Vaterland starben von der evangelischen Gemeinde Armsheim-Schimsheim“ und die Namen der im Krieg gefallenen 43 Soldaten. Darunter: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde“ und das Armsheimer Wappen. Auf der beigefügten Tafel: „Diese Ehrentafel ist eine Stiftung folgender Armsheimer in Amerika“ mit den Namen der elf Frauen und Männer, die die Gedenktafel finanziert haben. Gestaltet wurde sie von dem Maler Hermann Velte in Niederramstadt nach einem Entwurf Karl Bronners.
Glocken
Der Turmbrand von 1852 und die Ablieferung von je zwei Glocken in beiden Weltkriegen hatten in kurzer Zeit die wiederholte Herstellung des Geläutes nötig gemacht.
Gegenwärtig besteht es aus drei Glocken. Die beiden größeren aus Stahl wurden 1952 vom Bochumer Verein gegossen, die kleine Bronzeglocke gehört noch zu dem 1920 in Frankenthal von A. Hamm Sohn gegossenen Geläut. Die große Glocke „VOX DEI“ im Ton g´ trägt die Inschrift: „VOX DEI“ und „+ O LAND, LAND, LAND, HÖRE DES HERREN WORT +“, die mittlere im Ton b´gilt als „Gedächtnisglocke“: „+ DER TOD IST VERSCHLUNGEN IN DEN SIEG +“. Die kleine im Ton c´´ wurde zunächst als „Freiheitsglocke“ bezeichnet und gilt nun als „Freiheits- und Friedensglocke“.
1852 war von den drei Glocken die größte geschmolzen. Sie wurde 1854 durch eine neue aus der Glockengießerei Andreas Hamm in Frankenthal ersetzt. Eine der beiden alten wurde bei dieser Gelegenheit umgegossen, die dritte blieb erhalten.
Die überlieferten Aufschriften auf den Glocken weisen auf Eigenumsverhältnisse an Turm und Glocken hin. Auf der erhalten gebliebenen kleinen stand: „Gegenwärtige Glocke wurde gegossen im Jahre 1840 von dem Glockengiesser Renud (!) aus Goncourt in Frankreich unter der Leitung des Burgermeisters Göttelmann zu Armsheim“. Die Vermutung liegt nahe, daß sie bei dem auch in Bermersheim durch eine Glocke vertretenen Gießer Renaud um einen Wandergießer handelte, der vor Ort gegossen hat.
Die beiden neuen trugen die Aufschrift: „Eigentum der evangelischen Gemeinde Armsheim. Gegossen von A. Hamm in Frankenthal 1854“. Die große war im Ton es, die mittlere in b, die kleine in g. Die Glocken wurden 1917 beschlagnahmt, die beiden großen abtransportiert, die kleine der Gemeinde „vorläufig belassen“, zumal die Glocken als Uhrglocken und Feuermelder dienten. Als die Gießerei A. Hamm Sohn in Frankenthal 1920 ein neues Geläut goß, wurde die Renaudsche Glocke eingeschmolzen. Im Zweiten Weltkrieg wurden wieder die beiden größeren Glocken eingezogen, die kleine blieb erhalten.
Renovierungen
Der Kirchenbau ist nicht nur die Schöpfung seiner Bauherren und Architekten, sondern auch das Ergebnis vieler Renovierungen und der in ihnen sichtbaren Vorstellungen eines angemessenen Kirchenbaues.
Zahlreiche Spuren am Bau und seiner Einrichtung sowie schriftliche Nachrichten weisen auf Veränderungen und Erneuerungen hin. Die früheste Wiederherstellung erfolgte nach dem Brand von 1504. Erneuert werden mußten damal das Langhausdach und Teile der Ausstattung.
Auf die Umgestaltung des Innenraumes nach 1565 scheint eine Erneuerung des Außenbaus gefolgt zu sein, worauf die (erneuerte) Jahreszahl 1574 am Treppenturm hinweist. Das Baubuch des Amtes Alzey bezeichnet im Jahr 1587 die Kirche als in „in unclagbarem Bauw“ stehend, was auf einen tadellosen Zustand hinweist.
Reste unterschiedlicher Farbgestaltungen sind Spuren des mehrfachen Konfessionswechsels. Auf die ursprüngliche farbige folgte eine Graufassung der Architekturteile, die wiederholt überstrichen wurde, zunächst weiß, dann rosa-marmoriert, dann erneut grau.
Im Zusammenhang mit Erneuerungen des Innenanstrichs wurden die brandgeschädigten Gewölberippen durch Gipsprofile ergänzt. Die Aufschrift auf einem der die Gewölberinge schließenden Deckel „17 RK 70“ dokumentiert einen neuen Anstrich.
Die Maßnahmen des 18. Jahrhunderts sind ein beredtes Zeugnis für die spezifisch calvinistische Frömmigkeit. Der Einbau einer – zunächst noch breiteren – Empore, die Anschaffung der Orgel und die Aufstellung des Gestühls in der heutigen Anordnung bei voller Bestuhlung des Chorbereichs sind ihr zuzuordnen. Der Einbau der Empore erfolgte 1738. Mit der Orgel entstand 1739 das bedeutendste Inventarstück der nachreformatorischen Zeit.
Wichtig für das gegenwärtige Erscheinungsbild sind Erneuerungen des 19. Jahrhunderts. Eine als „Kirchenreparatur“ bezeichnete Maßnahme umfaßte 1845 die Erneuerung des Langhausdaches und 1847 eine Renovierung des Innenraums. Bei dieser Gelegenheit scheint die ursprünglich in das Mittelschiff vorspringende Empore auf die heutige Breite reduziert worden zu sein.
Nach dem Blitzeinschlag und Turmbrand am 19. Februar 1852 erhielt die Kirche 1854 einen neuen Turmhelm. Die Bauleitung hatte der Kreisbaumeister Rhumbler in Alzey. Der neue Helm folgt weder hinsichtlich der Kontur noch der Höhe dem alten, er besitzt nicht den hohen Aufschiebling und ist insgesamt etwa 8 Meter höher. Vermutlich erhielt damals der Turmhelm den Fialenkranz, von dem ungewiß ist, ob er früher vorhanden war. Dem Stahlstich von F. Foltz (Zeichnung von C. Schüler) von 1849 nach endigten die Wandvorlagen des Oktogons in Wasserspeiern. Die Verbindung von Wasserspeiern und Fialen bestand bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Weitere Reparaturen am Turm erfolgten 1859 bis 1864. Sie umfaßten die Brüstung, Fialen, vor allem die großen Eckfialen auf dem Umgang, Wasserspeier und – 1864 – von den beim Brand zerstörten Turmgewölben das untere.
Das Jahr 1859 brachte den Verlust der alten Glasfenster. In der Pfarrchronik ist vermerkt, am 2. November habe ein solcher Sturm gewütet, daß die Kirchenfenster zum Teil zerschlagen wurden und der Hahn auf dem Turm die größten seiner Schwanzfedern verlor.
Eine Veränderung erfuhr 1866 der Kirchhofsbereich im Zusammenhang mit dem Abbruch der in den Straßenraum vorspringenden Rathauslauben und der damit verbundenen Umgestaltung der Treppenanlage. Hierzu wurde das gotische Kirchhofsportal beseitigt und das gesamte Friedhofsniveau um einen dreiviertel Meter abgetragen, was die Anlage einer Treppe zum Südportal nötig machte. Damals wurde die ursprünglich am Rathaus befindliche eiserne Normalelle am Strebepfeiler der Vorhalle angebracht. Sie gibt die Elle mit 552 mm an, was einem Schuh von 276 mm entspricht.
Der Kirchenbau im 20. Jahrhundert
Bereits 1906 waren Arbeiten am Turmdach notwendig geworden. Es zeigte sich, daß nicht zuletzt Spätfolgen der Brandschäden von 1504 und 1852 eine weitere Restaurierung notwendig machten. Sie erfolgte 1908 bis 1911 unter Karl Bronner.
1909 wurde zur Vorbereitung der Baustelle in die Stadtmauer zur Neugasse hin die noch gegenwärtig erhaltene Einfahrt gebrochen. Es folgte eine nahezu vollständige Erneuerung der Fialen, des Kaffgesimses, der Strebepfeilerabdachungen und -bekrönungen und von Teilen der Fenstergewände. Ein erheblicher Teil des am Außenbau sichtbaren Werksteinmaterials gehört demzufolge nicht zum Originalbestand. Das 1852 zerstörte Gewölbe des zweiten Turmgeschosses wurde wiederhergestellt. Beim Abbruch der Vermauerung des Nordportals fanden sich „Überreste von feingearbeiteten Werkstücken“, die in der Sakristei aufgbewahrt wurden, seit den 1980er Jahren aber verschollen sind. Es handelt sich vermutlich um Teile des Lettners.
Die Bronnersche Konzeption zeichnete sich bereits beim Außenbau durch ungewöhnliche künstlerische Sensibilität aus. Das Äußere war in einem leichten Ockerton gehalten, der den Kirchenbau mit dem vorherrschenden Farbton von Landschaft und örtlicher Bebauung verband. Der Farbton wurde beim Turm durch die Verwendung eines farbigen Flonheimer Sandes im Verputz erzielt, beim Chor durch einen entsprechenden Anstrich.
Im Innenraum wurde durch die Verbindung von Rekonstruktionen auf der Grundlage alter Befunde und zeitgenössischen Gestaltungsmitteln eine sehr stimmige Atmosphäre geschaffen. Die damals freigelegten Malereien auf Rippen, Schlußsteinen und Gewölbeflächen und die wieder entdeckten Weihekreuze wurden bei dieser Gelegenheit restauriert; allerdings hatte der graue Anstrich der Pfeiler auf einer Fehlinterpretation des Befundes beruht. Durch die Verlegung der Emporentreppe aus dem mittleren Joch, wo sie die Grabmäler verdeckte, in das westliche und einen ockerfarbenen Anstrich der Empore konnte der Gesamteindruck des Innenraumes verbessert werden.
Die Malerarbeiten wurden 1911 der renommierten Frankfurter Firma Linnemann übertragen, deren Glasfenster im ganzen Reichsgebiet und darüber hinaus präsent waren, und die daneben auch eine Restaurierungswerkstätte betrieb. Die Verglasungsarbeiten wurden an die Firma C. F. Voege in Mannheim vergeben. Stiftungen der Familie Steffan, Georg Wieners III, des Bürgermeisters Eibach, der Frauen von Armsheim u. Schimsheim ermöglichten die Farbverglasung der mittleren Chorfenster nach Entwürfen von Otto Linnemann 1914. Das mittlere, 1945 durch Artilleriebeschuß beschädigte Chorfenster wurde von ihm repariert.
Bereits in den 1950er Jahren wurden Erneuerungsarbeiten nötig: das Langhaus erhielt 1956 einen neuen Dachstuhl, 1957 wurden Wasserspeier und Fialen erneuert, dazu die Umgangsbrüstung von 1864. Die hinsichtlich ihrer Konzeption schwer durchschaubaren Maßnahmen nach 1950 betrafen neben der Turmsilhouette und der Verglasung vor allem die Einrichtung des Chorraumes. Das Umfeld der Kirche wurde in den 1960er Jahren durch den Abbruch aller Gebäude des Pfarrhofes von 1775 und die Bebauung des Pfarrgartens nachhaltig verändert.
Mit einer erneuten umfangreichen Renovierung wurde 1968 begonnen. Sie zog sich bis 1982 hin und betraf in ihrer ersten Phase die Erneuerung schadhafter Architekturteile vor allem des Turmes, des Außenputzes und des Anstrichs. In diesen Jahren wurden die Wasserspeier am Fuß des Turmhelms beseitigt. Bis auf die der drei mittleren Chorfenster wurde die farblich getönte Verglasung durch die heutige ersetzt.
Auf die statische Sicherung 1978 hin erfolgte 1981/1982 eine Renovierung des Innenraumes, die Heizung, Fußböden, Gestühl und Anstrich umfaßte. Hierbei wurden unter dem alten Gestühl vorgefundene alte Fußbodenplatten in den Chorraum unter Beibehaltung des Niveaus des 18. Jahrhunderts verlegt. In diesem Zusammenhang wurde in der Mitte des Chores die Grabplatte des Pfarrers Johannes Helt(z) auf das spätere Niveau angehoben. Ursprünglich unter der Orgelempore befindliche Grabplatten wurden wahllos im Boden der Turmhalle verlegt. Das neue Gestühl folgt formal im ganzen dem zuletzt vorhanden gewesenen, das rotbraun gestrichen war.
Im Gefolge der Renovierung 1981/1982 gingen wichtige Überreste der Ausstattung, die sich vor Ort erhalten hatten, verloren. Hierzu gehören vor allem Teile des Lettners und eine Kanzelbrüstung.
Die Wirkung der Kirche
Die Hochschätzung dieses Kirchenbaues über fünf Jahrhunderte hin äußerte sich in den wiederholten Renovierungen, die den Baubestand sicherten und in sprachlichen Wendungen, deren früheste von Johannes Trithemius stammt. Seine eingangs bereits zitierte, mit „verschwenderisch-prächtig und über die Maßen schön und vortrefflich“ übersetzbare Einschätzung trägt freilich Züge literarischer Überhöhung.
Aus dem Jahre 1849 stammt eine differenziertere von einem unbekannten Verfasser in dem 1. Band „Das Großherzogthum Hessen in malerischen Original-Ansichten“: die Kirche sei noch jetzt wegen ihres überaus schönen gotischen Turmes sehenswürdig. Für Karl Bronner ist sie 1922 „unstreitig eine der schönsten Kirchen Rheinhessens und, da insbesondere der hohe spitze Turm von weither sichtbar ist, das Wahrzeichen der ganzen Umgebung“. Georg Durst spricht das Verhältnis von Turm und übrigem Bau an, wenn er sie nicht nur „schönste Dorfkirche Rheinhessens“ nennt, sondern auch eine „prächtige, von ihrem schlanken Turme mächtig überragte Kirche“. Kunstführer bezeichnen sie allgemein als „eine der schönsten Dorfkirchen Rheinhessens“ (Dehio1961), als „stattlich“ (Reclam 1961), als „stattlichen Bau, das Wahrzeichen der Gegend“ (Dehio 1972). In den Jahresberichten der Denkmalpflege 1982-1983 wird sie als „eine der bedeutendsten Hallenkirchen dieses Gebietes“ bezeichnet.
In alledem drückt sich zweierlei aus, die Wahrnehmung des Außerordentlichen und die Schwierigkeit, das Besondere zu charakterisieren, das mehr ist als die Wirkung der Dimension und der Situation in der Landschaft. Da ihr eine mustergültige Einheitlichkeit der Konzeption offenkundig fehlt, die Gegensätzlichkeit ihrer Bauteile aber unübersehbar ist, liegt es nahe, das Besondere ihrer Wirkung im Zusammenspiel dieses Gegensätzlichen zu sehen.
Dieses Zusammenspiel begegnet im Verhältnis der Höhe des Turms zum niedrigen Langhaus und zum hohen Chor, es ist sichtbar in der Aufeinanderfolge von quaderartigen Turmuntergeschossen, die doch feinste Gesimsfriese umziehen, und der feingliedrigen geometrischen Struktur des Oktogons, die wiederum mit der stereometrischen Strenge des Luginsland kontrastiert. Es bestimmt im Innern die Abfolge der Gestaltungsprinzipien von Chor und Langhaus, der Vertikalität und Spiritualität des Chorentwurfs einerseits und der horizontalen Ausdehnung und der vergleichsweise profanen Formensprache der Langhaushalle andererseits.
Was uns als Zusammenspiel künstlerischer Konzeptionen erscheint, ist zugleich auch Ausdruck eines Zusammentreffens von Erwartungen und Entsprechungen, die die Aufgabe einer Wallfahrts- und Pfarrkirche betreffen, die sinnbildhaft die Würde des Wallfahrtszieles ebenso zu vertreten hatte wie den Rang der landesherrlichen Stadt und deren Rolle als „festestes Schloß auf dem Gau“ – zumal als Gedächtnisstiftung der Begründer der neuen Dynastie Pfalz-Zweibrücken-Veldenz.
Wenn angesichts dieses Zusammenspiels von „Schönheit“ gesprochen wird, dann liegt dem Urteil eine Vorstellung von Schönheit zu Grunde, die mehr ist als Ordnung und schlüssige Ableitung formaler Vorgaben. Schönheit ist in diesem Sinne nicht Ordnung, sondern Harmonie und dies in einem sehr alten Sinne, nämlich in den Verbindungen des Gegensätzlichen zum Ganzen. Dies entsprach einer ästhetischen Theorie, die zur selben Zeit, als die Kirche entstand, wieder entwickelt wurde. Das 15. Jahrhundert war eine Zeit mächtiger Umbrüche und bewußtseinsverändernder Horizonterweiterungen auf allen Ebenen des Lebens. Und dies gilt auch für die Zeit, in der die spezifische Qualität dieser Kirche besonders empfunden wird.
Es läßt sich beobachten, daß in Epochen, die als Umbruchszeiten erfahren werden, zwei menschliche Grundverhaltensweisen das Denken bestimmen, weil sie versprechen, aus der unübersichtlich gewordenen Situation hinauszuführen, der Ruf nach einer Wiederherstellung alter Ordnungen, die als bewährte bezeichnet werden, und das Entwickeln von Visionen kommender Harmonien, die alles Gegenwärtige überschreiten. So betrachtet, ist dieser Kirchenbau Abbild einer Umbruchszeit und hat mit dem Versuch einer Vereinigung des Widersprüchlichen in vergleichbaren Zeiten die Anziehungskraft einer Vision.
Zur Wiedergabe der Inschriften
Die Inschriften sind buchstabengetreu, jedoch ohne Kennzeichnung der gekürzten Partien wiedergegeben. Die Lesungen werden Dr. Rüdiger Fuchs von der Arbeitsstelle „Die Deutschen Inschriften“ bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz verdankt.
Grundrisse, Ansichten und Schnitte fußen auf der Bauaufnahme durch Helmut Bauknecht und Günter Hartmann unter der Leitung von Karl Gruber TH Darmstadt 1957
Fotonachweiseeeeeeeeeeeeeeeeeeeeetttttttttttttttttttttttttttttttt
Literatur
Wolfgang Bickel, Carl Bronner in Armsheim: Mainz, Vierteljahreshefte für Kultur (…), 7. Jg., 1987, Heft 4, S. 106ff
Georg Biundo, Bericht und Bedenken über die erste kurpfälzische Kirchenvisitation im Jahre 1556: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 10, 1959, S. 1 – 41
Horst Wolfgang Böhme, Der Grabstein des Siegfried v. Oberstein in Gau Odernheim: Mainzer Zeitschrift 81, 1986, S. 49ff
Georg Friedrich Böhn, Beiträge zur Territorialgeschichte des Landkreises Alzey = Mainzer Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Meisenheim am Glan 1958, S. 113ff
Franz Bösken, Die Orgelbauerfamilie Stumm aus Rhaunen-Sulzbach und ihr Werk, Mainz 1960 (Neuausgabe 1981), S. 61
K. J. Brilmayer, Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart, Gießen 1905, S. 37ff
Karl Bronner, Die evangelische Kirche zu Armsheim in Rheinhessen: Volk und Scholle 5/6, Nov./Dez. 1922, S. 130ff
Corpus der Skulpturen der römischen Welt, Deutschland Bd. III,1 Germania superior, bearb. von Ernst Künzl, Bonn 1975, S. 23, Tafel 19
Wilhelm Diehl, Baubuch für die ev. Pfarreien der Provinz Rheinhessen (…), = Hassia sacra VI, Darmstadt 1932, S. 114ff
Wilhelm Diehl, Pfarrer- und Schulmeisterbuch für die Provinz Rheinhessen und die kurpfälzischen Pfarreien der Provinz Starkenburg , = Hassia sacra III, Darmstadt 1928, S. 131ff
Wilhelm Diehl, Reformationsbuch der evangelischen Pfarreien des Großherzogtums Hessen = Hessische Volksbücher 31-36, Friedberg 2. Aufl. 1917
Martin Dolch, Obermoschel wird Stadt, in: 650 Jahre Stadt Obermoschel, 1349 – 1999, Hrsg. von (…) Rainer Schlundt, Otterbach 1999, S. 40ff (hier der Hinweis auf die zugleich mit O. erfolgte Stadtrechtsverleihung)
Georg Durst, 500 Jahrfeier der Grundsteinlegung (…), 1931, S. 19
Val. Alois Franz Falk, Heiliges Mainz oder die Heiligen und Heiligthümer in Stadt und Bisthum Mainz, Mainz 1877, S. 262
Friedhelm Wilhelm Fischer, Die spätgotische Kirchenbaukunst am Mittelrhein 1410 – 1520 (…), Heidelberg 1962, S. 97ff
Das Großherzogthum Hessen in malerischen Original Ansichten, 1. Band, Starkenburg & Rheinhessen, Darmstadt 1849, S. 151f
Jahresberichte der Denkmalpflege im Großherzogtum Hessen II, 1912, S. 217ff; III, 1914, S. 229ff
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Matthias von Kemnat, Chronik Friedrichs I. = Quellen zur Bayerischen und Deutschen Geschichte. Quellen zur Geschichte Friedrichs des Siegreichen, 1. Bd. Matthias von Kemnat und Eikhart Artzt, hrsg. von C. Hofmann, München 1962, S. 55
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